Meinungen
10.09.2024

3. Interview: 
Schweizer Finanzplatz unter dem Einfluss der Geopolitik

Das aktuelle geopolitische und ökonomische Klima ist höchst instabil. Krisen wie der Ukraine-Krieg, hybride Kriegsführungen und die Schwächung internationaler Institutionen haben grosse Auswirkungen auf die Schweiz. Der geopolitische Druck von aussen nimmt weiter zu. Dies spürt auch der Finanzplatz. Am Bankiertag vom 12. September diskutiert die Schweizerische Bankiervereinigung die Thematik mit ihren Mitgliedern. Im Vorfeld publizieren wir Interviews mit verschiedenen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Extremismus und Sicherheit. Heute mit Fabian Eberhard, Journalist und Extremismusexperte.

Sie befassen sich seit Jahren mit den Themen Terrorismus und Extremismus. Hat die Gefahr, global betrachtet, zugenommen? Befürchten Sie eine Zunahme islamistischer Anschläge in Europa?

Die Aktivitäten im jihadistischen Milieu haben deutlich zugenommen. Insbesondere seit Beginn des Gaza-Krieges ist in der islamistischen Szene eine verstärkte Mobilisierung zu beobachten. Das Risiko für Anschläge ist zurzeit so hoch wie seit Langem nicht mehrdie Terrorattacken im deutschen Solingen und München dürften nicht die letzten bleiben. Vor allem zwei Dinge machen mir Sorgen.

Welche?

Zum einen sind das minderjährige Einzeltäter, die kaum in organisierte Strukturen eingebunden sind und sich innerhalb weniger Monate online radikalisieren. Sie sind für die Sicherheitsbehörden eine grosse Herausforderung. Es ist nahezu unmöglich, alle diese Extremisten auf dem Radar zu haben.

Und zum anderen?

Alte Terrornetzwerke werden reaktiviert. Die militärische Niederlage des Islamischen Staats (IS) war ein Dämpfer für den globalen Jihadismus. Doch die Terrormiliz war nie weg. Jetzt gewinnt vor allem der IS-Ableger ISPK an Schlagkraft. Von ihm geht derzeit die grösste Gefahr für einen Anschlag im grossen Stil aus.

Zur aktuellen geopolitischen Situation gehört auch, dass sich westliche Staaten wie die USA oder Frankreich aus Ländern wie Afghanistan oder Mali zurückgezogen haben. Wie weit begünstigt dies die Erstarkung terroristischer Organisationen?

Für die betroffenen Länder ist der Rückzug verheerend. Die jihadistische Welle vor Ort dürfte sich massiv verstärken. Aber auch im Westen steigt die Gefahr: Es besteht das Risiko, dass Länder wie Afghanistan wieder zu Rückzugsorten und Drehscheiben für den transnationalen Terrorismus werden. Und noch etwas dürfen wir nicht ausser Acht lassen: Insbesondere die Machtübernahme der Taliban war für die salafistische Szene weltweit ein Erweckungserlebnis. Nach Jahren der kollektiven Depression konnten die Islamisten mit der Rückeroberung Kabuls einen symbolträchtigen Sieg feiern.

In Wien mussten kürzlich drei Konzerte von Taylor Swift wegen konkreten Anschlagsplänen abgesagt werden. Nur wenige Wochen zuvor trat der Superstar an zwei Konzerten in Zürich auf. Hätte ein potenzieller Anschlag auch in Zürich stattfinden können?

Es hätte genauso gut Zürich treffen können, da sollten wir uns keine falschen Hoffnungen machen.

Kurz danach fand bei uns die Street Parade statt, mit über 900’000 Teilnehmern. Im Grunde ein prädestiniertes Angriffsziel, oder nicht?

Anlässe dieser Grösse sind immer ein potenzielles Ziel. Wir sollten uns aber auch nicht verrückt machen lassen. Genau das ist ja das Ziel der Terroristen. Unsere Sicherheitsbehörden tun viel, um Anschläge auf Anlässe wie die Street Parade zu verhindern. Absolute Sicherheit gibt es aber nie. Schlussendlich geht es um die Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. 

In der Schweiz ist es nie zu grösseren Anschlägen gekommen – Glück, ein gutes Sicherheitsdispositiv oder ist die Schweiz «zu uninteressant» für Terroristen?

Wohl eine Mischung aus allen Dreien. Die Schweiz steht zwar nicht ganz so stark im Fokus der Jihadisten wie andere Staaten, sie ist als Teil des Westens aber ebenfalls ein potenzielles Anschlagsziel. Unsere Sicherheitsbehörden haben in den letzten zehn Jahren viel in die Terrorabwehr investiert und insbesondere im Bereich Islamismus dazugelernt.

Wäre ein Anschlag auf unser Finanzzentrum, auf den Bankenplatz Schweiz, denkbar?

Denkbar wäre das, die Banken stehen bei Islamisten aber wohl weniger im Fokus. Dem Finanzplatz drohen Gefahren von anderer Seite: Von kriminellen Hackergruppen mit Verbindungen zum russischen Staat zum Beispiel. Moskau investiert viel in die hybride Kriegsführung. Diese könnte auch die kritische Infrastruktur der Schweiz treffen. Russland hat ein Interesse daran, dem Westen wirtschaftlich zu schaden und Unruhe zu stiften.

Müssen wir mehr in die Sicherheit und in die Abwehr investieren?

Die Schweiz tut sicher gut daran, in die Abwehr zu investieren. Gerade im Bereich religiöser und politischer Extremismus reicht Repression aber nicht aus. Genauso wichtig ist die Prävention. Wir müssen in die Bildung und Integration investieren, die Medienkompetenz stärken und soziale Medien stärker in die Pflicht nehmen. Auch zivilgesellschaftliche Akteure sind gefordert, Vereine etwa. Wird Radikalisierung früh genug gestoppt, erspart das den Sicherheitsbehörden viel Arbeit und Kosten.

Wo und wie spürt die Schweiz die aktuellen geopolitischen Verwerfungen?

Neben wirtschaftlichen Unsicherheiten wohl am unmittelbarsten durch die zunehmende Zahl an Flüchtlingen. Alleine aus der Ukraine stellten in der Schweiz mehr als 100’000 Menschen ein Schutzgesuch. Das bringt enorme Herausforderungen an die Integration mit sich – und aufgeheizte innenpolitische Debatten.

Könnten von den steigenden Asylzahlen auch rechtsextremen Kräften profitieren?

Das tun sie bereits. Die rechtsextreme Szene ist im Aufwind, auch in der Schweiz. Sie nutzt die laufenden Debatten über Integration geschickt aus. Wir dürfen nicht vergessen: In den vergangenen Jahren kam es in westlichen Ländern wiederholt zu rechtsextremen Terroranschlägen mit vielen Toten.

Geben Sie uns zum Schluss noch etwas Positives mit.

Bei all den düsteren Themen geht unter, dass wir in vielen Bereichen besser dastehen als umliegende Länder. Die Schweizer Volkswirtschaft ist resilient, die Integration von Migrantinnen und Migranten klappt besser als anderswo. In der Schweiz existieren kaum abgehängte Quartiere oder gar Parallelgesellschaften, wie wir sie in Berlin, Paris oder Brüssel sehen. Nicht zuletzt deswegen können extremistische Milieus hierzulande weniger gut gedeihen als in Nachbarländern.

Zur Person: Fabian Eberhard ist stv. Chefredaktor und Recherche-Chef beim SonntagsBlick. Er ist ein renommierter Experte für Extremismus und spezialisiert auf Inland und Politik. 2023 wurde er zum «Journalisten des Jahres» gekürt, 2022 zum «Recherchejournalisten des Jahres». 2019 gewann er den Zürcher Journalistenpreis für seine Serie über Schweizer Waffen in Kriegsgebieten. Eberhard studierte Geschichte an der Universität Bern und absolvierte die Schweizer Journalistenschule MAZ.

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