Schweizer Finanzplatz unter dem Einfluss der Geopolitik
Das aktuelle geopolitische und ökonomische Klima ist höchst instabil. Krisen wie der Ukraine-Krieg, hybride Kriegsführungen und die Schwächung internationaler Institutionen haben grosse Auswirkungen auf die Schweiz. Der geopolitische Druck von aussen nimmt weiter zu. Dies spürt auch der Finanzplatz. Am Bankiertag vom 12. September diskutiert die Schweizerische Bankiervereinigung die Thematik mit ihren Mitgliedern. Im Vorfeld publizieren wir Interviews mit verschiedenen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Extremismus und Sicherheit. Heute mit Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse.
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Wenn Sie am Morgen Zeitung lesen oder am Abend die Nachrichten schauen, was ist Ihr Gefühl, wie schlecht steht es um die Welt?
Es ist eine herausfordernde Zeit! Es besteht das Risiko, dass aktuelle Konflikte eskalieren, mit massiven negativen Auswirkungen. Vielleicht nicht gerade unmittelbar. Aber es ist wie auf einem Eisfeld, man weiss nicht mehr so genau, welche Stellen man betreten darf, das Eis ist sehr dünn und man könnte einbrechen. Darum sind alle sehr nervös, nicht nur die Ökonomen, sondern auch die Unternehmerinnen und Unternehmer. Sie schauen von Tag zu Tag, wie sie sich in dieser neuen Welt arrangieren können.
Was meinen Sie mit neuer Welt?
Die Pandemie war eine Zeitenwende, aber danach wurde es eben nicht besser, wie wir alle gehofft haben. Sondern es herrscht seither eine Art Ausnahmezustand: Der Einmarsch von Russland in die Ukraine, der brodelnde Handelskonflikt zwischen China und den USA, die Huthi-Rebellen, der Hamas Konflikt. Es hat eine Häufung gegeben von Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Und wenn rohstoffexportierende Länder verwickelt sind, wenn Handelsrouten gefährdet sind, dann hat dies einen grossen und unmittelbaren Einfluss auf die Weltwirtschaft.
Was macht Ihnen persönlich am meisten Sorgen?
Die Ambition von China, zur Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA aufzuschliessen. Und China ist bereit, fast alles dafür zu tun. Wenn der Konflikt rund um Taiwan eskaliert, wird sich dies desaströs auf die globalen Lieferketten auswirken. Taiwan ist Weltführer bei der Entwicklung und Produktion von Chips, ohne die heute fast nichts mehr funktioniert. Der Handelskrieg würde weiter eskalieren. Wenn dieses Szenario eintritt, würden wir weit zurückgeworfen werden.
Was raten Sie bezüglich China den Schweizer Unternehmen?
Ich glaube, es gibt nicht die eine Strategie, die für alle funktioniert. Von unseren Mitgliedern hören wir häufig, dass China als Wachstumsmarkt weiterhin gebraucht wird. Die Unternehmen wollen auch zukünftig in China tätig sein, sie haben viel investiert in China und wollen auch weiterhin viel investieren. Aber parallel dazu ist vieles in Frage gestellt, etwa ob das Wachstum in China tatsächlich vom Binnenkonsum getragen wird. Auch die Exportkurve zeigt nach unten, China wird künftig nicht mehr im gleichen Masse die Werkbank der Welt sein. Was viele Unternehmen jetzt tun: Sie sichern sich ab, behalten zwar ihre Produktion in China, eröffnen zusätzlich aber eine Fabrik an einem anderen Ort. Die Strategie «China plus one» ist ein Weg, den Firmen wählen, um im Falle von Handelssanktionen gewappnet und weniger ausgeliefert zu sein. Während Corona haben wir gesehen was passiert, wenn man die Ware nicht aus China herausbekommt. Pandemisch bedingt sind damals die Schiffe vor den Häfen gestrandet und konnten nicht beladen werden. Die Unternehmen konnten ihre eigenen Produktionsanlagen nicht mehr besuchen. Und mussten teilweise Konventionalstrafen bezahlen, weil sie ihre Verträge nicht einhalten konnten.
Es braucht eine Art Diversifizierung?
Richtig. Wir haben jahrelang von einer Friedensdividende profitiert. Nach 1989 entstand mit der Öffnung der Märkte eine perfekte Welt, gerade auch für die Schweizer Exportwirtschaft. Die Zölle sind immer weiter gesunken, die Märkte sind näher zusammengerückt, man konnte Skalierungseffekte nutzen. Jetzt wird teilweise wieder zurück buchstabiert, es geht wieder um Lagerhaltung, um eine zweite Produktionsstätte, Unternehmen müssen sich absichern. Das alles kostet viel Geld.
Sind wir resilient genug?
Ich glaube insgesamt ja. Die Schweizer Volkswirtschaft hat den grossen Vorteil, dass sie krisenerprobt ist. Die Finanzmarktkrise ist der erste Knall gewesen nach der erwähnten Friedensdividende, damals war man noch relativ schlecht vorbereitet. Danach kamen die gesamten Währungsschocks, die Eurokrise 2011, dann der Frankenschock 2015, das waren wirklich Schweiz-spezifische Schocks, da mussten Firmen über Nacht reagieren. Unternehmerinnen und Unternehmer sind zwar frustriert, dass sie immer wieder ein Notfallprogramm aktivieren müssen, aber insgesamt sind wir doch erstaunlich stabil und wettbewerbsfähig. Und dies in einem Hochlohnland, einem Hochkostenland! Das geht nur, weil die Firmen sehr flexibel sind.
Inflation, Zinsen, Energiepreise, Transportkosten bestimmten mit über unseren Wohlstand. Diesbezüglich stehen wir im Moment besser da als viele andere Länder. Ist unser Wohlstand in der Schweiz gesichert?
Schön wär’s! Im Moment sehe ich als grösste Gefahr, dass wir uns selbst ein Bein stellen. Aktuell gibt es viele politische Vorstösse, welche noch mehr Umverteilung fordern, oder eine grössere Steuerlast zur Folge haben. Ganz extrem ist beispielsweise die Erbschaftssteuerinitiative der Juso, welche dem Wirtschaftsstandort riesigen Schaden zufügen würde. Auch droht die unternehmerische Freiheit weiter eingeschränkt zu wurden. Und dies einfach nur, weil es uns so gut geht. Wir sind eine Wohlstandsinsel. Es ist unglaublich, wie reich wir sind. Wir haben einen Vergleich gemacht: wie lange muss ein durchschnittlicher Deutscher arbeiten im Vergleich zu einem durchschnittlichen Schweizer, um ein iPhone kaufen zu können – ein Deutscher muss doppelt so viel arbeiten! Im internationalen Kontext ist unsere Kaufkraft gigantisch. Das ist ein Privileg, welches wir der Exportwirtschaft verdanken und auch einer erfolgreichen Finanzindustrie. Ansonsten wäre die Schweiz arm wie eine Kirchenmaus.
Der Zustand der Welt war schon besser, wir haben viele Probleme, warum machen wir uns dann das Leben noch selbst schwer?
Ich glaube, es ist zum Teil ein Art Wohlstandsverwahrlosung. Es geht uns so gut, dass plötzlich andere Modelle denkbar sind. Man will weniger arbeiten, dafür mehr Freizeit. Das ist verständlich, aber dem Standort tut man damit nichts Gutes. Von der Politik erwarte ich, dass sie gute Rahmenbedingungen schafft, damit die Unternehmer agieren können in einer Krise. Die Tendenzen zur Einschränkung am Arbeitsmarkt sind verheerend. Kündigungsschutz von über 50jährigen etwa, all diese Vorschläge, welche von den Gewerkschaften kommen, würden die Flexibilität der Unternehmen unterminieren. Und diese wiederum würden nicht mehr investieren. Das Risiko, dass wir dann einen Totalverlust erleiden, wenn irgendein Problem auftaucht, wäre sehr gross.
Es gibt Stimmen die sagen, die Globalisierung sei langsam am Ende, man müsse den Nationalstaat stärken. Wo steuern wir diesbezüglich hin?
Ich glaube, eine Umkehr der Globalisierung ist fast unmöglich. Nehmen wir das Beispiel China: Wenn China ein Exportproblem hat, haben sie auch ein innerchinesisches Problem. Dann würde der Deal, der Staat schaut, dass es allen besser geht und das Volk begehrt nicht auf, hinterfragt werden. Und dies könnte für die chinesische Führung sehr problematisch werden. Das heisst, die Regierungen wissen, dass es ohneeinander nicht geht, man muss einfach Handel betreiben.
Wie beurteilen Sie die globale Schuldensituation?
Die grösste Gefahr ist eine Verkettung mehrerer Schocks, wenn beispielsweise die Finanzmärkte ins Rutschen kämen, würde dies Unternehmen, aber auch Staaten ins Wanken bringen. Käme dann eine kriegerische Aktion dazu, hätten wir mit dieser weltweiten Schuldensituation ein riesiges Problem, das könnte dann schon eine grosse Krise zur Folge haben. Vor einem solchen Szenario habe ich grossen Respekt. Und ich sehe nicht den geringsten Willen bei den Politikern, hier wirklich etwas ändern zu wollen. In Europa haben wir die Maastricht-Kriterien, welche mit Füssen getreten wurden. In den USA waren früher die Republikaner auf der Ausgabenbremse und die Demokraten haben das Geld ausgegeben, später war es andersrum, mittlerweile gehen beide Parteien mit dem Füllhorn ans Werk. Wir reden heute von riesigen Schuldenbergen. Und es muss immer noch jemanden geben, der glaubt, dass das jeweilige Land seine Schulden auch zurückzahlen kann. Wenn das nicht mehr der Fall ist, man hat das in Argentinien gesehen, aber auch in anderen Ländern, dann kippt es irgendwann. Ich glaube, an diesem Punkt steht die USA noch nicht, aber ich habe Respekt, dass dieser Punkt irgendwann kommt.
Sagen Sie zum Schluss noch etwas, das uns Mut macht.
Ich glaube, wir unterschätzen die technologischen Veränderungen, welche eben auch positive Entwicklungen bewirken können. Vielfach reden wir jetzt negativ über Künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Es gibt eine erstaunliche Menge an Innovation, welche sehr viel bessere Dienstleistungen und bessere Produkte auf den Markt bringen. In der Schweiz sind wir sehr gut positioniert, wir haben Top Universitäten, da sind wir vorne mit dabei. Wir haben nach wie vor ein sehr gutes Bildungssystem. Gerade die duale Ausbildung mit der Berufslehre ist einer der grossen Erfolgsfaktoren der Schweiz. Und dass wir eher zum Nörgeln neigen, dass wir nicht immer sagen, wir sind die besten, sondern eher auf die eigenen Mängel hinweisend hilft, damit wir nicht den Grössenwahn bekommen. Für die Schweiz bin ich eigentlich ganz positiv eingestellt, solange wir unsere Stärken weiterhin ausspielen und uns nicht selber ausbremsen.
Interview: Urs Bachofner
Zur Person:
Prof. Dr. Rudolf Minsch ist stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung, Bereichsleiter allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung und Chefökonom beim Wirtschaftsdachverband economiesuisse. Er ist an der Universität St. Gallen Dozent, ständiger Gastprofessor an der Fachhochschule Graubünden und mehrfacher Stiftungs- und Verwaltungsrat.