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30.04.2024

Schweizer Dienstleistungen im Ausland besteuern? Die UNO auf Irrwegen.

Friedenssicherung, Pandemiebekämpfung, Klimaschutz: Die UNO hat grosse Aufgaben und ist durch die aktuelle Weltlage vielfach gefordert. Doch dies alles reicht ihr nicht, jetzt bekämpft sie auch noch die Steuerpolitik der OECD. Die neuste Idee ist eine Marktbesteuerung für Dienstleistungen.

Was ist passiert?

Seit ihrer bemerkenswerten Resolution vom 30. Dezember 2022 versucht die UNO, der OECD deren Deutungshoheit über das internationale Steuerrecht zu entziehen und arbeitet sich mit hoher Kadenz an ihr ab. Die Politisierung der OECD in den letzten Jahren mag zweifellos kritikwürdig sein, doch hat sie die wirtschaftliche Bodenhaftung zumindest nicht ganz verloren. Anders die UNO: Ihr neuer steuerpolitischer Aktionismus jenseits ökonomischer Realitäten kennt kaum mehr Grenzen. Nach ihrer jüngsten Idee sollen grenzüberschreitende Dienstleistungen neu im Land des Kunden besteuert werden. Dies wäre nicht nur für Export-Nationen mit einem starken tertiären Sektor, wie der Schweiz, ein Problem. Es würde die Behandlung von Dienstleistungen nachgerade von den Füssen auf den Kopf stellen.

Was gilt bisher?

Werden Dienstleistungen grenzüberschreitend erbracht, dürfen die Erträge bislang grundsätzlich nur vom Staat A des Leistungserbringers besteuert werden – der Staat B des Leistungsempfängers erhält nichts:

Diese Verteilung des Steuerkuchens folgt seit jeher einem internationalen Standard, dem sogenannten Musterabkommen. Ironischerweise war es zunächst der Völkerbund, die Vorgänger-Organisation der UNO selbst, der ihn vor rund 100 Jahren etablierte. Seit ihrer Gründung entwickelte die OECD das Musterabkommen weiter und verhalf ihm zu einem damals ungeahnten Erfolg. Denn der Standard für die Zuteilung von Besteuerungsrechten auf Erträge grenzüberschreitender Geschäfte war und ist keinesfalls willkürlich: Er zeichnet die Wertschöpfung jener Geschäfte nach.

Der Staat des Leistungsempfängers erhält hiernach nichts, weil der Leistungsempfänger zur Wertschöpfung der Dienstleistung nichts beiträgt. Vielmehr verbraucht er die fertige Dienstleistung, er ist ihr Konsument. Und auch dass der Standard die Wertschöpfung zum Massstab erhebt, ist keine Willkür. Denn das Musterabkommen gilt für Steuern auf Erträge (Ertragssteuern) und genau ihr Wesen und Zweck ist eben gerade die Besteuerung der Wertschöpfung.

Was soll sich ändern?

Seit den 1980er Jahren unterhält die UNO parallel wieder ein eigenes Musterabkommen, das eher im Schatten dessen der OECD stand, nun aber offen mit ihm konkurriert. In ihm möchte die UNO nunmehr alle Dienstleistungen zusammenfassen und dem Land des Leistungsempfängers hierfür ein einheitliches Besteuerungsrecht gewähren. Hiernach müsste eine Bank, die ausschliesslich aus der Schweiz heraus grenzüberschreitend operiert, dennoch die Erträge mit ihren ausländischen Kunden direkt in deren Ländern versteuern. Ihre Gewinnsteuern kämen also trotz Innovation, Leistungserstellung, Kosten- und Risikotragung hier vor Ort nicht mehr der Schweiz zugute, sondern praktisch vollständig anderen Staaten überall auf der Welt. Dies würde auch für andere Industrien gelten, die oft schon heute mehr mit Services verdienen als mit ihren Produkten.

Zwar kennt selbst das OECD-Musterabkommen schon heute Besteuerungsrechte im Staat B für einige andere Erträge (z.B. Dividenden, Lizenzgebühren). Dienstleistungen lassen sich mit diesen Erträgen aber nicht vergleichen, denn genau bei letztgenannten ist gerade der Leistungsempfänger die Quelle der Wertschöpfung. Ein solcher Vergleich würde deshalb schlicht den Absatzmarkt mit dem Beschaffungsmarkt verwechseln.

Beispiel

Verkauft ein Unternehmen in der Schweiz (Land A) Dienstleistungen in ein anderes Land B (Absatzmarkt), so ist nur dieses Unternehmen Leistungsersteller. Die Wertschöpfung findet also nur in der Schweiz statt, der Kunde ist Leistungsempfänger. Finanziert sich dasselbe Unternehmen mit Eigenkapital eines ausländischen Investors (Beschaffungsmarkt), so ist es selbst Leistungsempfänger dieser Finanzierung – die Schweiz ist hier also Land B! Gleichwohl entsteht der Wert der Eigenkapital-Finanzierung aber erst durch die Investition des Unternehmens, somit erneut in der Schweiz. Nur deshalb sieht das Musterabkommen für Dividenden ein Besteuerungsrecht für das Land B des Leistungsempfängers vor. Denn dieser ist hier selbst Quelle der Wertschöpfung. Dies ist aber die Ausnahme vom ökonomischen Regelfall und der entscheidende Unterschied zu den fertig produzierten Dienstleistungen.

Das Ansinnen der UNO kann auch nicht damit begründet werden, ohne Kunde sei letztlich keine Wertschöpfung denkbar. Das ist zwar grundsätzlich richtig. Dennoch wird die Besteuerung der Wertschöpfung durch Ertragssteuern (hier: Gewinnsteuer) und die des Wertverbrauchs durch Verbrauchssteuern (z.B. Mehrwertsteuer) seit jeher aus guten Gründen scharf getrennt, folgen sie doch völlig unterschiedlichen ökonomischen Gesetzmässigkeiten. Absichtlich oder unabsichtlich droht die UNO diese beiden Welten nun zu vermischen.

Was würde dies bedeuten?

Der Weg der UNO ist vor allem eines: Ein fundamentaler Irrweg!

Kurzfristig droht eine Abkehr des UN-Musterabkommens von der Besteuerung der Wertschöpfung. Durch Export-Hemmnisse und Renationalisierung der Wertschöpfungsketten erweist die UNO ihrem Ziel einer Inklusion der Marktstaaten einen Bärendienst. Langfristig führt die Vermischung völlig wesensverschiedener Steuerarten in ein internationales Chaos. So dürfte absehbar unklar werden, welcher Staat für welche Steuern überhaupt an welche Kriterien anknüpfen darf, etwa wenn eine Dienstleistung in ein Drittland C weiterverkauft wird.

Darüber hinaus schwächt die UNO genau das, was von Beginn an Ziel und Zweck ihres Musterabkommens war und ist: Die Besteuerung durch Staat B zu begrenzen! Weil der Leistungsempfänger die Vergütung auszahlt, kann nämlich Land B (meist durch Quellensteuer) stets vor und zulasten von Land A zugreifen. Mit dem Recht auf Besteuerung von Dienstleistungen erhält es nun das Recht – und einen Anreiz – zur Besteuerung von fast allem. Denn Dienstleistungen sind auch viel schwieriger eingrenzbar als physische Geschäfte.

Hinzu kommen unzählige weitere Probleme, vor allem für Länder wie die Schweiz: Etwa ihre abnehmende steuerpolitische Handlungsfähigkeit, die Erosion ihrer steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit, die steuerliche Bestrafung von Innovation und lokaler Wertschöpfung, das Risiko von Mehrfachbesteuerungen oder die unabsehbare Bürokratie für die hiesigen Unternehmen durch weltweite Steuerpflichten.

Wie geht es weiter?

In der jüngsten Sitzung des UN-Expertenausschusses für die internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen Mitte März 2024 wurde die Abstimmung über den Vorschlag nur knapp auf Oktober 2024 vertagt. An seiner unbeirrten Verabschiedung dürften indessen wenig Zweifel bestehen. Kommt es dazu, wird die Marktstaaten-Besteuerung von Dienstleistungen Eingang in das UN-Musterabkommen finden. Dieses ist bereits heute die Vorlage vieler Staaten für Verhandlungen mit der Schweiz. Die Verabschiedung gäbe deshalb den Anstoss zu einer Entwicklung, welche die Schweiz langfristig teuer zu stehen kommen würde.

So erfolgreich das Musterabkommen seit 100 Jahren durch Anerkennung der wirtschaftlichen Realitäten ist, so werden Versuche wie diese, sich von ihnen zu entfernen, langfristig scheitern. An falschen Prioritäten wie der internationalen Steuerpolitik könnte sich die UNO somit letztlich verschlucken, ihrer eigentlichen Mission dürfte dies nicht dienlich sein.

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