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23.03.2023

Zeitenwende auch bei den Unternehmenssteuern? Die Schweiz zwischen Geben und Nehmen.

In einem bemerkenswerten Vorgang entziehen die Vereinten Nationen der OECD die Deutungshoheit über das internationale Steuerrecht. Die Schweiz ist schon jetzt unmittelbar betroffen, es dürfte sie viel Geld kosten.

Die Welt ist im Umbruch, auch steuerlich. Ob internationaler Standortwettbewerb, globale Mobilität oder grenzüberschreitende Transparenz – der wirtschaftlichen Integration folgt die steuerliche Integration. Dieser Supertrend ist nun um ein weiteres Kapitel reicher. Denn integriert werden wollen nicht nur die Industrieländer. Während diese mit Völkerbund und OECD seit einem Jahrhundert die Gestaltung des internationalen Steuerrechts prägen, wollen – je länger je mehr – auch die Schwellen- und Entwicklungsländer ihren Anteil am globalen Steuerkuchen. Mit dem sogenannten Inclusive Framework erhielten deshalb auch sie einen Platz am grossen Esstisch der OECD. Doch die Umverteilung nach dem zähen Ringen der letzten zehn Jahre scheint ihnen nicht weit genug zu gehen. Mit einer bemerkenswerten Resolution haben sie am 30. Dezember 2022 erwirkt, dass das internationale Steuerdossier nunmehr bei der UNO weiterentwickelt werden soll. Im Kern geht es um den Standard für die rund 3'000 Doppelbesteuerungsabkommen weltweit, mit denen sich die Länder das Steueraufkommen aus grenzüberschreitenden Geschäften teilen. Die UNO bzw. ihr Vorgänger, der Völkerbund, war zwar vor 100 Jahren selbst Geburtshelferin des OECD-Standards und unterhält bereits seit Jahrzehnten einen eigenen Standard.  Dieser ist allerdings wenig bedeutsam, fallen doch rund 80% der entsprechenden Wirtschaftsleistung unter den OECD-Standard. Dies soll nun offenbar anders werden.

Tendenz zur breiteren Quellenbesteuerung, auch von Dienstleistungen

Inwieweit ein politischer Kompromiss unter den 193 UNO-Mitgliedern künftig wahrscheinlicher ist als unter den 142 Mitgliedern des Inclusive Framework, darf zwar hinterfragt werden. Mit entsprechenden Zweifeln hatte auch die Schweiz ihre Zustimmung zur UN-Resolution verbunden. Bereits Realität ist indessen aber jener UN-Standard, welcher mit der UN-Resolution nun Rückenwind erhält. Im Unterschied zum OECD-Standard enthält dieser vor allem Klauseln, nach denen das Land des Kunden (sog. Quellen- oder Marktstaat) auch Umsätze aus Dienstleistungen besteuern darf. Dies sogar dann, wenn jene Dienstleistungen gar nicht in dem betreffenden Land erbracht werden, sondern aus der Schweiz heraus. So wird der Kunde faktisch zu einer «Betriebsstätte» umgedeutet und ist als solche vom Schweizer Unternehmen nochmals zu versteuern, obwohl er auf eben diese Dienstleistungen bereits die Mehrwertsteuer zu tragen hat. Ein anderes Beispiel ist der Begriff der «technischen Dienstleistungen», der sehr breit ist und etwa auch Management- und Beratungsleistungen mit «spezialisiertem Wissen, Können oder Erfahrung einer bestimmten Kunst, Wissenschaft, Profession oder Tätigkeit» umfasst. Dies dürfte auf nahezu jeden Umsatz einer so hoch spezialisierten Dienstleistungswirtschaft wie der Schweiz zutreffen. Und es ist umso bemerkenswerter, als der Zweck solcher Klauseln eigentlich darin besteht, das Land des Unternehmens (sog. Sitzstaat) – hier also die Schweiz – eben gerade vor der Quellenbesteuerung des Marktstaats zu schützen.

Breite Betroffenheit, vor allem auch der Banken

Dass all dies bereits Wirklichkeit ist, zeigen jüngste Doppelbesteuerungsabkommen etwa mit Saudi-Arabien, Äthiopien oder Angola, die alle nach dem UN-Standard abgeschlossen wurden. Nicht nur wird die Position der Schweiz mit jeder neuen Präzedenz eines weiteren Doppelbesteuerungsabkommens unter dem UN-Standard schwieriger, spätestens wenn es um ein Land mit handelspolitischem Gewicht geht. Als einer der bedeutendsten Export-Dienstleistungssektoren der Schweiz ist auch die Bankenindustrie von der Entwicklung betroffen. Vor allem hat das Inclusive Framework selbst erst kürzlich die Finanzbranche aus guten Gründen und im Einklang mit den Doppelbesteuerungsabkommen eigentlich von eben jener Marktstaaten-Besteuerung ausgenommen. Es leuchtet nicht ein, warum diese Gründe allein durch die neue UN-Zuständigkeit plötzlich nicht mehr gelten sollen. Doch nicht nur für Banken und Unternehmen wird es teurer, wenn Steuern auf dem Umsatz statt auf dem Gewinn in vielen statt einem Land zu zahlen sind. Auch für uns Steuerzahler wird der Trend absehbar zum Problem, tritt unser Fiskus doch künftig einen Teil seines Aufkommens direkt an jene Länder ab. Indem die Standortkosten ihrer Unternehmen so vermehrt vom Ausland kontrolliert werden, beraubt sich schliesslich auch die Schweiz selbst ihres Spielraums zur Gestaltung der eigenen Wirtschaftspolitik. Entsprechend zurückhaltend zeigt sich die Schweiz eigentlich, wenn es – wie etwa bei der OECD-Mindeststeuer – anderswo um Marktstaaten-Besteuerungen geht. Will sie ihr Geld vor jener der OECD-Mindeststeuer schützen, so reicht sie es über die des UN-Standards an andere weiter. Die Schweiz hat es wahrlich nicht leicht in dieser immer raueren Steuerwelt. Doch sollte sie sich nicht genau deshalb gerade Flexibilität bewahren?

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