Sind nur Banken systemrelevant?
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Alljährlich gibt die Schweizerische Nationalbank in ihrem Bericht zur Finanzstabilität ihre Einschätzung zu den hiesigen Systemrisiken. Dabei legt sie den Fokus auf die Banken, «da die Erfahrung aus vergangenen Finanzkrisen zeigt, dass die Finanzstabilität in erster Linie von der Stabilität des Bankensektors abhängt». Im diesjährigen Bericht wird unter anderem aufgezeigt, dass die Banken die too-big-to-fail Vorgaben und die Kapitalanforderungen erfüllen.
Viele Ampeln stehen auf grün, ein paar wenige auf orange. Die Lektüre ist vorab eine Bestätigung der erfolgreichen Umsetzung der Lehren der Banken aus der Finanzkrise. Ihr vitales Interesse an einem stabilen System scheint somit erfüllt. Alles paletti?
Zahlreiche Systemrisiken
Nicht ganz: Der Schluss, dass die Systemstabilität alleine dadurch gewährleistet ist, weil die Banken ihre Hausaufgaben gemacht haben, ist voreilig. Zahlreiche Analysen bei renommierten internationalen Gremien wie dem Financial Stability Board diskutieren neue Risikoquellen für das Finanzsystem. Diese Diskussionen nimmt der SNB-Finanzstabilitätsbericht nicht auf. Wir bleiben im Dunkeln, wie es in der Schweiz um die Stabilitätsrelevanz von Kryptowährungen, Cyberattacken oder der rasanten Zunahme an Bankdienstleistungen von Nichtbanken steht.
Dass technologische Entwicklungen und der Strukturwandel in der einen oder anderen Form die Stabilität beeinträchtigen könnten, steht mittlerweile ausser Frage. Yves Mersch, Mitglied des EZB-Direktoriums, streicht jüngst in seiner Tirade über Libra hervor, dass die digitale Währung das öffentliche Vertrauen in das Finanzsystem unterminiert. Cyberrisiken stehen zuoberst auf der Prioritätenliste von internationalen Finanzgremien, da sie Cyber-Vorfälle als eines der grössten Risiken für die Finanzstabilität einzelner Länder und das System insgesamt erachten. Pensionskassen prägen seit kurzem mit zweistelligen Wachstumsraten und Tiefstzinsen die Marktentwicklung im Hypothekargeschäft mit. Ein Geschäft, das die SNB jeweils minutiös analysiert hatte.
Es herrscht Informationsbedarf
Solche Beobachtungen verunsichern. Wir möchten mehr dazu wissen, finden aber keine Antworten im SNB-Bericht zur Finanzstabilität, ob unsere Sorgen berechtigt sind. Er thematisiert diese Bereiche schlicht nicht. So wird es schwierig, sich über Notwendigkeit und Art der Massnahmen ein Bild zu machen.
Es gibt Indizien, dass die SNB sie sehr wohl auf dem Radar hat. So erwähnte Thomas Jordan in seinem Referat an der Universität Basel anfangs September, dass «ein breiter Zugang zu digitalem Zentralbankgeld auch Gefahren für die Finanzstabilität mit sich bringen» könnte. Eine Fussnote im Finanzstabilitätsbericht weist auf die Existenz von Nichtbanken im Hypothekarmarkt hin. Am Geldmarktapéro wurde diesen Frühling auf die Bedeutung der Cyberrisiken im Bereich Infrastruktur und Zahlungssysteme hingewiesen.
Öffentliche Diskussion anstossen
Diese knappe Erwähnung von stabilitätsrelevanten Hotspots kann eine kontextuelle Diskussion in einem Sachbericht natürlich nicht ersetzen. Um eine öffentliche Diskussion in Gang zu bringen und strukturiert über mögliche Massnahmen nachzudenken, sind Kenntnis über Analysen und Einschätzung der SNB Voraussetzung. Durch den sichtbaren und detaillierten Einbezug der aktuellen Entwicklungen bei der Ausgestaltung ihres Stabilitätsmandats würde die SNB die Reputation des Finanzplatzes Schweiz fördern.
Finanzstabilität ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich eine Volkswirtschaft zu entfalten vermag. Die Sichtbarmachung von Einschätzungen und Anstrengungen trägt dazu bei, das Vertrauen in das Finanzsystem zu stärken. Vertrauen ist das grösste Kapital der Banken in der Schweiz.
Deshalb ist es ein klares Anliegen, dass der Finanzstabilitätsbericht 2020 nicht die historisch grössten, sondern die aktuell materiell bedeutendsten Risikoquellen hervorhebt. Er darf durchaus auch einmal eine Entwarnung geben, wenn in gewissen Bereichen die SNB zu einer diesbezüglichen Einschätzung kommt.