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19.12.2023

Digital Finance in der Schweiz: ein Augenschein zurück, mit Weitblick nach vorne

Die langfristigen Erfolgsaussichten und die Wettbewerbsfähigkeit von Banken hängen massgeblich von technologiebasierten Innovationen ab. Hierfür sollen Rahmenbedingungen den Einsatz neuer Technologien und die Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle ermöglichen. Aktuelle Schlüsselthemen in diesem Kontext sind digitale Vermögenswerte kombiniert mit digitalen Währungen, der Einsatz künstlicher Intelligenz, Open Finance und eine staatliche digitale Identität. Wir ordnen ein.

Digitale Vermögenswerte werden zunehmend reguliert und durch digitale Währungen unterschiedlicher Art unterstützt

Während sich die Preise von Kryptowährungen jüngst erholen oder gar zu neuen Höhenflügen aufbrechen, war das vergangene Jahr von einigen einschneidenden Entwicklungen geprägt. Insbesondere der Prozess gegen Sam Bankman-Fried, den gescheiterten Gründer der Kryptobörse FTX, und eine Busse der amerikanischen Securities and Exchange Commission gegenüber der Plattform Binance über 4 Milliarden Dollar, haben die Märkte verunsichert.

Die zunehmende Instabilität dieser Märkte hat die internationalen Regulierungs- und Standardsetzungsbehörden dazu veranlasst, bereits laufende Bemühungen zur Überwachung der Adoption von Kryptowährungen und anderen digitalen Vermögenswerten im Bankensektor zu beschleunigen. Gremien wie das Financial Stability Board (FSB), der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS), das Office of the Comptroller of the Currency (OCC) und die Europäische Zentralbank (EZB) haben Bedenken geäussert, dass Kryptowährungen eine breitere Ansteckung des Finanzsektors auslösen könnten, bevor der Bereich gründlich reguliert ist. Diese Befürchtungen wurden durch den Zusammenbruch von FTX und dem Konkurs der Sillicon Valley Bank bestätigt. Die relevanten Aufsichtsbehörden werden im kommenden Jahr vermutlich weiterhin umfassende Richtlinien für die Interaktion von Banken mit Kryptowährungen erlassen. Der Grundstein dafür wurde mit den High-Level Empfehlungen des FSB zu «Global Stablecoin Arrangements» und «Crypto Asset Markets» bereits gelegt. In der EU wurde zwischenzeitlich die weitreichende Verordnung über «Markets in Crypto Assets» (MiCA) verabschiedet, während der US-Kongress über parteiübergreifende Gesetzesvorschläge zur Regulierung debattiert hat.

Die Schweiz wurde aufgrund der frühzeitigen und vorausschauenden regulatorischen Einbettung dieser neuen Asset-Klasse von diesen internationalen Verwerfungen zwar weitestgehend verschont; nach der FTX-Pleite konnten diverse Schweizer Anbieter sogar Geld- und Kundenzuwächse verzeichnen. Es bleibt jedoch weiterhin wichtig, die globalen regulatorischen Entwicklungen zu verfolgen und möglichen Anpassungsbedarf der Schweizer Rahmenbedingungen zu identifizieren. Konkret wird im kommenden Jahr die Umsetzung der BCBS-Standards zu «Prudential Treatment of Cryptoasset Exposures» in der Schweiz den Banken ein neues Regelwerk zur Hand geben, das die prudenzielle Behandlung von auf der eigenen Bilanz gehaltenen digitalen Vermögenswerten regelt. Es ist notwendig, dass der Gesetzgeber auch weiterhin einen innovationsfreundlichen Kurs fährt und einzelne Regeln zugunsten der Industrie praxisfreundlich ausgestaltet.

Gleichzeitig hat das vergangene Jahr gezeigt, dass das Thema Verwahrung bzw. Custody eine kleine Renaissance erlebt. In der traditionellen Finanzwelt als eher unspektakuläres und margenschwaches Massengeschäft abgestempelt, ist die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten ein neues dynamisches Feld, in dem sich die Schweizer Finanzbranche gerade als «Global Player» etabliert. Dies bestätigt auch der Swiss Digital Assets Custody Report von Homeofblockchain.swiss in Kooperation mit der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg), der Asset Management Association Switzerland (AMAS) und der Capital Markets and Technology Association (CMTA). 

«Ausblickend denken wir, dass insbesondere der Einsatz tokenisierter Vermögenswerte in einem Smart Contract basierten Finanzökosystem ein enormes Potenzial für den Finanzplatz und die Wirtschaft bieten.»

Ausblickend denken wir, dass insbesondere der Einsatz tokenisierter Vermögenswerte in einem Smart Contract basierten Finanzökosystem ein enormes Potenzial für den Finanzplatz und die Wirtschaft bieten. Das wahre Potenzial wird jedoch erst erschlossen werden können, wenn neben den Vermögenswerten auch tokenisiertes Geld beziehungsweise digitale Währungen zur Verfügung gestellt werden können. Aus diesem Grund forscht die SNB schon seit geraumer Zeit an einer digitalen Zentralbankenwährung. Die SBVg hat gemeinsam mit ihren Mitgliedern alternative Ansätze für die Umsetzung einer digitalen Währung vorgestellt. So stellt die Tokenisierung des bestehenden Buchgelds aus unserer Sicht eine sinnvolle Alternative dar, um die neuen Funktionalitäten einer digitalen Währung zu ermöglichen, ohne dabei an den Fundamenten unserer bewährten Finanzmarktarchitektur mit dem zweistufigen Bankensystem zu rütteln und ohne Not neue Risiken einzuführen. Unsere Arbeiten sind eng mit den wichtigen Anspruchsgruppen wie der SNB und der FINMA aligniert und wurden vom Verwaltungsrat der SBVg auch im Jahr 2024 als Verbandspriorität bestätigt. Im neuen Jahr werden wiederum wichtige Weichen gestellt werden, um der Vision eines digitalen bzw. programmierbaren Schweizer Frankens einen Schritt näher zu kommen.

Die Rahmenbedingungen für die Anwendung von generativer KI sind vorhanden, es braucht nun vor allem den nötigen Willen und eine Spur Neugierde

Auch das Thema künstliche Intelligenz (KI) war im vergangenen Jahr in aller Munde, insbesondere aufgrund der Fortschritte rund um generative KI und Large Language Models (LLM), die Anwendungen wie Open AI’s Chat GPT und Google’s Bard zugrunde liegen. Der Umfang, in welchem diese Technologie nur schon in den vergangenen zwölf Monaten Bereiche wie Text- und Bildgenerierung verändert haben, ist beeindruckend und wird in den nächsten Jahren in rasantem Tempo weiter zunehmen. Doch jede Technologie kann neben guten, sinnvollen Zwecken auch für schädliche, kriminelle Aktivitäten genutzt werden. Nicht überraschend hat daher mit der zunehmenden Nutzung von generativer KI die Diskussion rund um die Regulierung ebendieser KI an Fahrt gewonnen.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber rasch, dass die mit dem Einzug von KI einhergehenden Risiken mit den bestehenden regulatorischen Rahmenbedingungen in der Schweiz genügend adressiert werden, wie dies auch das Positionspapier von economiesuisse unterstreicht. Die Notwendigkeit zusätzlicher rechtlicher Grundsätze, insbesondere eines spezifischen KI-Gesetzes wie in der EU, ist in der Schweiz nicht gegeben. Stattdessen braucht es in erster Linie neue technische und organisatorische Massnahmen zur sinnvollen Umsetzung des bestehenden Rechts. Es wird sich zeigen, ob mit der Zeit punktuelle Anpassungen für spezifische Anwendungsfälle, beispielsweise in einzelnen Sektoren, notwendig sein werden. 

«Neben den Diskussionen zur Regulierung von KI bleibt es spannend zu sehen, wie rasch sich innovative Anwendungen von KI im Finanzsektor tatsächlich durchsetzen und die Vorteile manifestieren werden.»

In diesem Kontext hat auch die Finanzmarktaufsicht (FINMA) in ihrem Risikomonitor 2023 auf besondere Herausforderungen beim Einsatz von KI im Schweizer Finanzmarkt in den Bereichen Governance, Robustheit, Transparenz und Gleichbehandlung hingewiesen. Die FINMA erwartet von der Finanzindustrie, diese Risiken angemessen zu behandeln und plant eine Überwachung des KI-Einsatzes bei den beaufsichtigten Institutionen. Da diese Punkte unabhängig davon bereits im Rahmen des ordentlichen Risikomanagements durch Banken sichergestellt werden, sollte dies in der Praxis nicht viel ändern. Die Ausführungen unterstreichen aber die besonders relevanten Aspekte beim Einsatz von KI.

Zuletzt hat der Bundesrat im November 2023 beschlossen, Regulierungsansätze für KI zu prüfen. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) soll bis Ende 2024 mögliche Regulierungsansätze aufzeigen, damit der Bundesrat anschliessend bis 2025 konkrete Regulierungsvorschläge entwickeln und die Zuständigkeiten klären kann.

Auch KI wird daher über die nächsten Monate weiterhin für Gesprächsstoff sorgen dürfen. Neben den Diskussionen zur Regulierung von KI bleibt es spannend zu sehen, wie rasch sich innovative Anwendungen von KI im Finanzsektor tatsächlich durchsetzen und die Vorteile manifestieren werden. Die möglichen Knacknüsse verorten wir hierbei vor allem beim Mangel an verfügbaren Fachkräften einerseits und an der internen Akzeptanz dieser Anwendungen in Unternehmen andererseits. Hierfür braucht es eine schrittweise Herangehensweise und den Mut, einfach mal auszuprobieren.

Konkrete Initiativen treiben die weitere Adoption eines offenen Finanzwesens in der Schweiz voran

Die Kontostände mehrerer Bankbeziehungen über einen zentralen Zugang einsehen und verwalten, idealerweise ergänzt um die Depotwerte, die man bei unterschiedlichen Anbietern hält und handelt. Zudem die Vorsorgegelder mit einem Klick einfach zugänglich integrieren und einsehen. Bei Bedarf Vorschläge für die richtigen Versicherungslösungen oder andere Massnahmen zur Schliessung möglicher Vorsorgelücken oder Risiken aufgezeigt bekommen. Diese und ähnliche Ideen werden unter Konzepten wie Open Finance, Embedded Finance und Banking-as-a-Service subsumiert. Das anvisierte Ziel: Kundinnen und Kunden können die vorhandenen Daten und Informationen bestmöglich nutzen und weiterverwerten.

Konkrete Initiativen der Branche zahlen auf diese Vision ein, so zum Beispiel die Retail Multibanking Initiative der SBVg vom Frühling 2023, die Open Pension Initiative des Fachverbands SFTI vom Herbst 2023, die auf dem Projekt DIBS (Digital Individual Benefit Statement) der Fachhochschule Genf und MOSAR (eAHV) des Bundes aufbaut, oder auch die anhaltenden Arbeiten der Open Wealth Association. Im Unterschied zur EU ist diese Art der Zusammenarbeit und der damit verbundene Datenzugang und die Datenherausgabe in der Schweiz nicht regulatorisch vorgeschrieben, sondern basiert auf marktwirtschaftlichen Anreizen und der Vertragsfreiheit der beteiligten Marktteilnehmer. Dies erfordert kurzfristig zwar eine gewisse Koordination und Kollaboration der verschiedenen Marktteilnehmer, um beispielsweise gemeinsame Standards zu verwenden oder konkrete Anwendungsfälle unter mehreren Anbietern möglichst effizient umzusetzen. Langfristig verspricht dieser Ansatz aber die nachhaltigeren Ergebnisse, da er sich an den Bedürfnissen im Markt orientiert und kostspielige regulatorische Eingriffe und Auflagen vermieden werden.

Eine gewisse Dringlichkeit für die Branche ist jedoch gegeben. So hat der Bundesrat Ende 2022  Ziele für Open Finance in der Schweiz definiert. Er fordert insbesondere bei der Öffnung der Datenschnittstellen der Finanzakteure mehr Verbindlichkeit. Eine erneute Standortbestimmung wird Mitte 2024 erwartet. Die SBVg unterstützt die vorgestellten Ziele und engagiert sich weiterhin aktiv, um diese Ziele gemeinsam mit ihren Mitgliedern zu erreichen. Hingegen erachtet die SBVg bei der einseitigen Öffnung der Schnittstellen weiterhin, dass eine staatliche Regulierung in diesem Bereich kaum zum gewünschten Effekt führen wird. Staatliche Eingriffe würden sich über die bislang guten Fortschritte im Markt hinwegsetzen und zu einer Wettbewerbsverzerrung führen.

«Staatliche Eingriffe würden sich über die bislang guten Fortschritte im Markt hinwegsetzen und zu einer Wettbewerbsverzerrung führen.»

Während auf dem Schweizer Spielfeld fleissig gespielt wird, adjustiert die EU zurzeit ihre Spielregeln. Im Sommer 2023 hat sie neben der Weiterentwicklung der Payment Services Directive (PSD) und der Einführung einer Payment Services Regulation (PSR) auch die Financial Data Access Regulation (FIDA) vorgeschlagen. Ein Rahmenwerk, das den Zugang zu weiteren Daten über Banken hinweg auch für weitere Marktteilnehmer regulieren möchte.

Ob regulatorisch vorgeschrieben oder nicht, im Endeffekt geht es darum, ein faires und sicheres Datenökosystem zu gewährleisten, das einen Mehrwert für Verbraucher und Dienstleister schafft. Dafür braucht es die richtigen finanziellen Anreize und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktakteure im Hinblick auf Datenzugang und -nutzung. Es kann daher auch im kommenden Jahr einige Dynamik in diesem Thema erwartet werden, sowohl auf der Umsetzungs- als auch der regulatorischen Ebene.

Die Umsetzung einer staatlichen Vertrauensinfrastruktur schreitet weiter voran

Last but not least wird auch die staatliche elektronische Identität, kurz E-ID, einen wichtigen Baustein im Kontext offener Datenökosysteme bilden. Die E-ID ist dabei weit mehr als nur das digitale Pendant zur bisherigen physischen Identitätskarte. Kombiniert mit einer digitalen Wallet, also einer elektronischen Brieftasche auf dem Handy, lassen sich in Zukunft beliebige digitale Nachweise wie Name, Alter oder Bildungsnachweise mit anderen teilen. So können wir uns in Zukunft noch einfacher, sicherer und möglichst datensparsam im Internet identifizieren und Dienstleistungen beziehen. Für Banken wiederum eröffnet dies neue Möglichkeiten, um ihre Prozesse noch besser auf die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden auszurichten. Zum Beispiel beim Onboarding von Neukunden, bei der Ausgabe von Kreditkarten oder auch bei der Vergabe und der Abwicklung von Hypotheken.

Auch in diesem Thema hat sich 2023 einiges getan. Neben den regelmässig vom Bundesamt für Justiz  durchgeführten Partizipationsmeetings hat der Bundesrat Ende November 2023 die Botschaft zum neuen Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und andere elektronische Nachweise (E-ID-Gesetz, BGEID) verabschiedet. Die E-ID soll vom Bund herausgegeben werden und dank Konzepten wie Self-Sovereign Identity (SSI), Privacy by Design, Datensparsamkeit sowie dezentraler Datenspeicherung den grösstmöglichen Schutz der persönlichen Daten gewährleisten. Zudem soll sie kostenlos und freiwillig sein, zumindest für die Nutzerinnen und Nutzer sowie Unternehmen. Schweizer Behörden müssen die E-ID hingegen als gültigen Identitätsnachweis akzeptieren. Bis es jedoch so weit ist und wir eine staatliche E-ID in unserer Wallet auf dem Handy ablegen und nutzen können, wird es noch bis mindestens 2026 dauern.

«Bis wir eine staatliche E-ID in unserer Wallet auf dem Handy ablegen und nutzen können, wird es noch bis mindestens 2026 dauern.»

Auch in der EU wird weiter an den gesetzlichen Grundlagen für eine E-ID gearbeitet. Im Herbst 2023 hat sich die EU zu ihrer geplanten EUDI Wallet geeinigt und damit den Weg für die weitere Umsetzung geebnet. Auch hier ist nicht vor Ende 2026 mit einer Umsetzung zu rechnen.

Bis dahin sind Banken und weitere Finanzmarktakteure in der Schweiz sicherlich gut beraten, sich mit den Chancen und Herausforderungen einer E-ID für das eigene Geschäft auseinanderzusetzen. Erste erfolgreiche abgeschlossene Proof of Concepts (PoC) für SSI in der Schweiz wie dasjenige von Procivis gemeinsam mit AXA, SBB, Swisscom und orell füssli haben bereits das Potenzial von digitalen Nachweisen mit Anwendungsfällen im Privatsektor aufgezeigt. Weitere sollten folgen.

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