Beziehungen Schweiz-EU

Die Schweizer Banken leisten einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung in der Schweiz und bieten hochqualifizierte Arbeitsplätze. Voraussetzung dafür sind Rahmenbedingungen, die es den Banken auch in Zukunft erlauben, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Dabei ist der Zugang für Schweizer Finanzdienstleister zu ausländischen Märkten von strategischer Bedeutung. Marktzugang bedeutet, dass Schweizer Banken ihre Dienstleistungen von der Schweiz aus exportieren können. Die EU gehört zum Schwerpunkt des Exportgeschäfts der Schweizer Banken.

Um einen verbesserten Marktzugang in die EU zu erreichen, verfolgte die Branche in der Vergangenheit verschiedene, voneinander unabhängige Ansätze: 

  • Bilaterale Abkommen: Bilaterale Abkommen erlauben Marktzugangsverbesserungen mit einzelnen strategisch wichtigen EU-Ländern. Bislang hat die Schweiz mit Deutschland eine Vereinbarung zu einem vereinfachten Freistellungsverfahren getroffen. Zudem laufen zurzeit Verhandlungen über ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich, das Verbesserungen des Marktzugangs für Schweizer Banken in das UK zum Ziel hat.
  • Äquivalenzstrategie: Die Schweizer Finanzmarktregulierung wird in zentralen Bestandteilen als äquivalent zu den Regulierungen der EU anerkannt. Die diesbezüglichen Anerkennungsverfahren sind jedoch derzeit einseitig, ineffizient und zum Teil stark politisiert.
  • „Finanzdienstleistungsabkommen» (FDLA): Ein Finanzdienstleistungsabkommen würde sich über die gesamte Schweizer Finanzbranche erstrecken, inklusive der Versicherungen. Ausserdem ist eine weitgehende Anpassung des Schweizer Finanzmarktrechts an EU-Regularien ein wesentlicher Bestandteil des FDLA im herkömmlichen Sinn. Aus diesem Grund steht ein FDLA zurzeit nicht im Fokus.
  • «Onshore»-Präsenzen in EU-Ländern: Einige Schweizer Banken haben Tochtergesellschaften in der EU aufgebaut. EU-Kunden sind jedoch nach wie vor primär an einer grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung aus der Schweiz heraus interessiert.


Für die Branche stehen im Moment folgende Ansätze im Vordergrund: 

  • Praktikable Marktzugangslösungen sollen auf EU-Ebene und bilateral mit einzelnen Mitgliedstaaten angestrebt werden. Die Schweizer Bankenbranche steht geschlossen hinter dem Konzept des «institutsspezifischen Ansatzes», der basierend auf einer Registrierung bei den EU-Aufsichtsbehörden interessierten Instituten den Marktzugang in die EU eröffnen sollte.
  • Die bestehenden Äquivalenzanerkennungsverfahren im Finanzbereich sollen auf ein stabileres und verlässlicheres Fundament gestellt werden. Parallel dazu soll eine Verbesserung des gegenwärtigen Äquivalenzregimes angestrebt werden.

Der Institutsspezifische Ansatz

Der Marktzugang im Bereich von Bank- und Wertpapierdienstleistungen aus der EU in die Schweiz ist im internationalen Vergleich sehr offen. Umgekehrt gibt es auf Ebene der EU und in den meisten Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) aktuell jedoch keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Marktzugang für die aktive Erbringung grenzüberschreitender Bank- und Wertpapierdienstleistungen aus der Schweiz in die EU. Der Marktzugang auf der EU-Ebene wird kontinuierlich restriktiver gestaltet. Die derzeitigen Vorschriften beschränken die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen für EU-Anleger auf eine «passive Dienstleistungserbringung», d. h. auf die ausschliessliche Initiative der Kundinnen und Kunden.

Um ihr grenzüberschreitendes Geschäft mit EU-Kundinnen und -Kunden aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen, sollte der «institutsspezifische Marktzugangsansatz» weiterverfolgt werden. Der institutsspezifische, respektive aus regulatorischer Sicht lizenzbasierte Zugang zum EU-Markt basiert auf einer einzigen Registrierung der interessierten Schweizer Banken bei einer zentralen EU-Behörde (EBA oder ESMA) und einem Pass, der es den einzelnen so registrierten Schweizer Banken ermöglicht, aktiv Bank- und Wertpapierdienstleistungen in der gesamten EU/EWR zu erbringen. Der Marktzugang würde sich auf alle relevanten Kundenkategorien erstrecken, einschliesslich Privatkunden, und die Betreuung bestehender Kunden sowie die Anwerbung und Gewinnung neuer Kunden mit Domizil in der EU bzw. im EWR umfassen.

Im Zusammenhang mit ihrer Registrierung würden sich die Schweizer Banken, die sich registriert haben, individuell dazu verpflichten, bei der Betreuung von EU-Kundinnen und -Kunden die Anwendung des einschlägigen EU-Rechts zu akzeptieren und einzuhalten. Relevant sind in diesem Zusammenhang die EU-Verhaltensregeln in Bezug auf Anlegerschutz, Marktintegrität und gleiche Wettbewerbsbedingungen. Zusätzlich zur primären Beaufsichtigung durch die FINMA würden registrierte Schweizer Banken in Bezug auf ihre grenzüberschreitende Tätigkeit in der EU der zusätzlichen Aufsicht einer EU-Behörde unterstellt werden. Die Einzelheiten müssten in einer Kooperationsvereinbarung zwischen den Schweizer und EU-Aufsichtsbehörden vereinbart werden. Dass der institutsspezifische Ansatz einen gangbaren Weg darstellt, hat der Bundesrat im Entwurf des Berichts Lagebeurteilung zu den Beziehungen Schweiz-EU vom 9. Dezember 2022 auch erkannt (Seite 21).

Als Referenzmodell könnte dabei die zwischen der Schweiz und Deutschland gefundene Vereinbarung für ein Freistellungsverfahren dienen. Deutschland bietet Nicht-EWR-Banken die Möglichkeit, Lizenzbefreiungen nach den geltenden deutschen Gesetzen und Vorschriften zu erhalten. Auf der Grundlage eines MoU zwischen den Aufsichtsbehörden der Schweiz und Deutschlands hat die Schweiz zudem Zugang zu weitergehenden Lizenzbefreiungen. Diese werden von der deutschen Aufsichtsbehörde BaFin erteilt. Befreite Institute können ohne Vermittlung eines in Deutschland lizenzierten Instituts grenzüberschreitend aktiv deutsche Kunden akquirieren und betreuen. Dabei müssen sie weitgehend deutsche regulatorische Vorschriften einhalten. Ihr grenzüberschreitendes Geschäft wird zusätzlich durch Schweizer Auditgesellschaften überprüft und die BaFin hat gewisse eigene Prüfungskompetenzen.

Eine mögliche Alternative wäre die Kreierung eines EU-Registrierungssystems, wie es beispielsweise schon in den USA existiert. Der US Investment Advisers Act von 1940 ermöglicht Schweizer Finanzinstituten und ihren Anlageberatern, grenzüberschreitend ihre Vermögensverwaltungs- und Beratungsdienstleistungen auf amerikanischem Boden anzubieten. Interessierte Finanzinstitute müssen sich bei der US-amerikanischen Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde (SEC) oder einer staatlichen Aufsichtsbehörde registrieren lassen. Auch hier sind registrierte Finanzinstitute und ihre Anlageberater dazu verpflichtet, in ihrer Geschäftstätigkeit mit US-Kunden das US-Recht anzuwenden.

Äquivalenzverfahren

Kurzfristig stehen zur Wahrung und Verbesserung des Marktzugangs in die EU nach wie vor die Äquivalenzverfahren im Vordergrund. Die Anerkennung äquivalenter Regulierung ist eine Bedingung für den Zutritt der gesamten Schweizer Finanzbranche zum EU-Markt.

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind sehr eng und vielfältig. In den letzten 25 Jahren wurden über 120 Abkommen unterzeichnet. Die Schweiz und die EU sind ausgesprochen enge Handelspartner. Aufgrund dieser hohen Vernetzung der Beziehungen befindet sich die Schweiz gegenüber der EU insofern in einer Sondersituation, als dass die Schweiz deutlich intensivere Handelsbeziehungen pflegt als andere Drittstaaten. Schweizer Banken sind in der Schweiz einer kompetenten und umfassenden Finanzmarktaufsicht unterstellt, die auch von der EU anerkannt wird. Die Schweizer Gesetzgebung ist zudem in den für den Marktzugang relevanten Bereichen äquivalent zum EU-Recht ausgestaltet. Im globalen Vergleich besitzt die Schweiz eine hohe politische und finanzielle Stabilität.

Aus all diesen Gründen sollte die Schweiz von der EU als verlässlicher Handelspartner anerkannt und in den Äquivalenzfragen prioritär behandelt werden. Die Wirtschaft fordert eine vollständige Anerkennung der Äquivalenz der Finanzmarktregulierung, wo dies im EU-Recht vorgesehen und für die Schweiz von Bedeutung ist. Die politische Äquivalenzprüfung soll auf EU-Seite über einen verlässlichen, klar definierten und prinzipienbasierten Prozess erfolgen. Die ausstehenden Äquivalenzverfahren sollen auf EU-Seite so schnell wie möglich abgeschlossen werden, insbesondere wo der technische Prozess bereits seit langem von den zuständigen Behörden abgeschlossen ist.

Aus Bankensicht herrscht zurzeit Rechtsunsicherheit, weil die bestehenden Prozesse zur Erlangung der EU-Äquivalenz nicht klar und verlässlich genug definiert sind; so fehlen beispielsweise zeitliche Vorgaben und ein einheitlicher Äquivalenzmassstab. Es gibt kein Anrecht auf Äquivalenz, vielmehr ist es ein politischer Entscheid der EU-Kommission. Der Rahmen des bestehenden EU-Drittstaatenäquivalenzregimes ist zudem eingeschränkt auf gewisse Tätigkeiten, gewisse Kundenkategorien (professionelle Kunden) oder gewisse Produkte.

Die EU-Kommission hat im Juni 2019 mit Blick auf die Schweizer Börsenregulierung (MiFIR 23) die vorerst lediglich befristete Äquivalenzanerkennung auslaufen lassen. Deshalb aktivierte das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) am 1. Juli 2019 die Massnahme zum Schutz der Schweizer Börseninfrastruktur. Nachdem die EU die Schweizer Börsenregulierung weiterhin nicht als gleichwertig anerkannt hat, verlängerte der Bundesrat am 17. November 2021 die Gültigkeit der Schutzmassnahme bis zum 31. Dezember 2025. Gleichzeitig eröffnete er die Vernehmlassung zur Überführung der Schutzmassnahme ins Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG). Die Massnahme bleibt auch nach Überführung in das FinfraG temporär und soll vorerst für eine Dauer von fünf Jahren gelten, aber jederzeit deaktiviert werden können.

Die SBVg bedauert in diesem Zusammenhang, dass die Anerkennung der Börsenäquivalenz aus politischen Gründen nicht erneuert wurde und teilt damit die Einschätzung des Bundesrats. Die sachfremde Verknüpfung einer technischen Anerkennung der Gleichwertigkeit mit den Fortschritten beim Verhandeln eines Rahmenabkommens ist nicht nachvollziehbar. Entsprechend fordern wir, dass die Schweiz – wie andere Drittstaaten auch – die unbefristete Äquivalenz erhält, denn die technische Gleichwertigkeit wurde auch von den EU-Behörden festgestellt.

Über diesen Bereich hinaus sind weitere Entscheide zur Äquivalenz von grosser Bedeutung. Sie sind so schnell als möglich abzuschliessen. Die wichtigsten, zurzeit offenen Äquivalenzverfahren sind folgende:

  • AIFMD 67 betrifft die Ausdehnung des EU-Passes auf Drittstaaten, also auch andere Staaten neben der Schweiz. Mit einem positiven Entscheid könnte die Zulassung für Schweizer Fonds im alternativen Bereich für die ganze EU erlangt werden. Infolgedessen wären die Verwaltung und der Vertrieb von alternativen Schweizer-Fonds in der ganzen EU einheitlich geregelt. Dies würde Geschäftsmöglichkeiten aus der Schweiz, die bisher nur von EU-Standorten (vorwiegend Luxemburg und Irland) aus möglich waren, eröffnen. Eine positive Empfehlung der ESMA für die Ausdehnung des Passes auf die Schweiz ist bereits im Juli 2016 erfolgt. Der politische Entscheid der EU-Kommission steht noch aus und könnte noch Jahre dauern aufgrund einer möglichen Review der entsprechenden EU-Direktive.
  • MiFIR 46/47 betrifft die direkte grenzüberschreitende Bedienung von professionellen Kunden aus einem Drittstaat in der EU. Ein positiver Entscheid würde es erlauben, Wertpapierdienstleistungen an geeignete Gegenparteien und sogenannte geborene professionelle Kunden EU-weit ohne Zweigniederlassungen zu erbringen. Schweizer Institute könnten von einem EU-Passporting für Drittstaaten profitieren. Ein solches Passporting würde die Möglichkeit grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung signifikant verbessern. Zu verweisen ist in diesem Bereich auf den interessanten Präzedenzfall des EU-Mitgliedstaats Luxembourg, das im Juni 2020 im Rahmen ihres «national regimes» für genau diese Tätigkeit die schweizerische Finanzmarktregulierung und -aufsicht als äquivalent eingestuft hat. Mehr dazu hier.
  • Bei EMIR 13 geht es um die Anerkennung der Schweizer Derivateregulierung. Ein positiver Äquivalenzentscheid würde die Erfüllung bestimmter Pflichten (wie Clearing, Risikominderung, Meldung) nach Schweizer Recht statt EMIR ermöglichen (substituted compliance). Bei gruppeninternen Geschäften hätte es sogar eine Befreiung von bestimmten EMIR-Pflichten (Clearing, Risikominderung) zur Folge.
  • CSDR 25 betrifft die Bearbeitung und Abwicklung von Wertpapiertransaktionen durch Anbieter aus Drittstaaten. Die Äquivalenzanerkennung in diesem Bereich erlaubt es Zentralverwahrern aus Drittstaaten, Dienstleistungen der Wertpapierverwahrung für Kunden im EU-Raum zu erbringen. Dieses Verfahren ist auch in Bezug auf EWR-Staaten relevant. Die SIX SIS ist nicht nur die Zentralverwahrerin der Schweiz, sondern auch jene von Liechtenstein und erfüllt damit zentrale Aufgaben für den liechtensteinischen Finanzplatz. Die Äquivalenz ist eine Voraussetzung, dass diese Dienste weiterhin erbracht werden können.

Expertinnen und Experten

August Benz
Stv. CEO, Leiter International & Transformation
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Vanessa Dubra
Leiterin International
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