Sustainable Finance: Schweizer Sackmesser des Finanzmarktes
Nach der Euphorie vor einigen Jahren, ist hinsichtlich Sustainable Finance eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Waren die Erwartungen zu hoch?
Oder ist die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und Governance-Kriterien gar nutzlos? Höchste Zeit für eine kurze Analyse.
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Superlative sollten prinzipiell jede Leserin und jeden Leser skeptisch stimmen. In der digitalen Welt, die schon einige Wellen von Heilsversprechen und Enttäuschungen hinter sich hat, hat Peter Thiel dies einmal so auf den Punkt gebracht: «Wir wollten fliegende Autos, stattdessen haben wir 140 Zeichen bekommen.» Dasselbe Muster findet sich auch bei Sustainable Finance. Mit der Vorlage des Aktionsplans «Finanzierung nachhaltigen Wachstums» durch die EU-Kommission 2018, dessen Ziel es sein sollte, Finanzströme in nachhaltige Investitionen zu lenken und das Finanzsystem vor Klimarisiken zu schützen, war der Grundton gesetzt. Mit dem Green Deal wurden die Erwartungen nur ein Jahr später bereits höhergeschraubt.
Nach einer ganzen Batterie von Regulierungen wie CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) und SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation), hat sich inzwischen – nicht nur in der EU – eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Zwar machen Anlageprodukte, die gemäss Artikel 8 und 9 der SFDR offenlegen, aktuell fast 50 Prozent des in der EU verwalteten Vermögens aus und Europa ist mit einem Anteil von bis zu 84 Prozent am weltweiten Vermögen nachhaltiger Fonds der mit Abstand grösste Markt für solche Fonds. Dennoch fliessen die Mittel nicht im erhofften Ausmass in die Transition.
Von moralischen Überlegungen hin zu Investierbarkeit und Wirkung
Die am 20. November 2025 angestossenen Überarbeitung der SFDR ist ein guter Zeitpunkt, auf verschiedene Webfehler und deren Ursache aufmerksam zu machen. Um möglichen Missverständnissen gleich zu Beginn vorzubeugen: Manche eingeführten regulatorischen Massnahmen sind sinnvoll. Es ist wichtig, ökologische und soziale Faktoren zusätzlich zu den wirtschaftlichen Aspekten in Entscheide einzubeziehen; – langfristig gibt es dazu keine Alternative. Die gesuchte Wirkung ist aber nicht einfach zu erreichen. Sustainable Finance ist ein vielschichtiger Ansatz, der wie ein Schweizer Sackmesser verschiedene Werkzeuge für unterschiedliche Anwendungen beinhaltet. Diese lassen sich am besten über die möglichen Motive kategorisieren: Fing es vor 100 Jahren mit rein moralischen Überlegungen an, verschob sich Ende der 1990-er Jahre die Perspektive hin zu Risiko-Rendite-Überlegungen. Und seit den 2010-er Jahren rücken die ökologischen und sozialen Wirkungen («Impact») ins Zentrum der Betrachtung. Aber während ein ruhiges Gewissen Finanzierungen oder Investments in kritische Unternehmen konsequent vermeiden muss, erfordert die Idee der Transition, dass gerade den schmutzigsten Unternehmen Kapital zur Verfügung gestellt wird – natürlich begleitet durch aktiven Unternehmensdialog («Active Ownership») oder Instrumente wie Sustainability-linked Loans.
Sustainable Finance braucht eine Basis
Das wirft die Frage auf, wer die notwendige Entscheidungskompetenz und Verantwortung hat. Der Reflex, diese ausschliesslich den Banken und Assetmanagern zuzuschreiben, greift aus zwei Gründen zu kurz. Zum einen handeln die Finanzintermediäre beim Anlegen ausschliesslich im Auftrag ihrer Kundinnen und Kunden. Zum anderen stehen Banken bei Finanzierungen in der Pflicht, nicht nur auf den Impact, sondern auch auf die langfristige finanzielle Tragfähigkeit und das Risiko zu achten. Der Schlüssel für die notwenige Transformation liegt deshalb in den Rahmenbedingungen, die von der Politik gesetzt werden (müssen). Dabei sollten stets die Investier- beziehungsweise Finanzierbarkeit von entsprechenden Projekten im Auge behalten werden. Wenn wirtschaftliche Aktivitäten ökologische oder soziale Kosten verursachen, die von der Allgemeinheit getragen werden, müssen beispielsweise eine CO2-Abgabe oder ein entsprechendes Zertifikatesystem in das Marktsystem eingefügt werden. Dann braucht es auch keine komplexen bürokratischen Regelungssysteme wie eine Taxonomie mehr.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die inzwischen eingekehrte Ernüchterung über Sustainable Finance grösstenteils auf falschen Annahmen und überzogenen Hoffnungen insbesondere seitens der Politik beruht. Es braucht ein breites Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen des «Schweizer Sackmessers» Sustainable Finance. Und darauf aufbauend Rahmenbedingungen, welche ein solides Fundament für die Finanzierbarkeit beziehungsweise Investierbarkeit einer erfolgreichen Transition schaffen.