Meinungen
06.07.2021

Ist die Sorge um den Hypothekarmarkt berechtigt? 

Die Schweizer Banken sind sicher. Dies ist die Botschaft des SNB-Finanzstabilitätsberichts. Beunruhigt ist die SNB dennoch. Nicht etwa wegen den Cyberrisiken oder dem Markteintritt von Technologiefirmen. Sondern weil der Immobilienmarkt unbeschadet durch die Coronakrise kam.
Beitrag vonMartin Hess

Der vor zwei Wochen publizierte jährliche Bericht zur Finanzstabilität der SNB stellt den Schweizer Banken ein gutes Zeugnis aus. Er kommt zum Schluss, dass die beiden global tätigen Grossbanken gut aufgestellt sind, um die Herausforderungen des aktuellen Umfelds zu meistern und die Realwirtschaft zu unterstützen. Zudem haben die auf das Inland fokussierten Banken ihre Kapitalpuffer weiter ausgebaut. Sie sind meist ausreichend, um das in einer Szenarioanalyse simulierte substanzielle Verlustpotenzial abzudecken. Einzelne Banken könnten sich in dieser Simulation dennoch den regulatorischen Mindestanforderungen nähern oder darunterfallen, jedoch nicht in einem Ausmass, das die SNB im Rahmen ihres Auftrags als systemisch relevant bezeichnet. 

Die SNB Perspektive zum Risikoumfeld

In seinen einleitenden Bemerkungen beim Mediengespräch vom 17. Juni 2021 zählt der Vizepräsident des Direktoriums Fritz Zurbrügg drei stabilitätsrelevante Risiken auf: erstens eine Verschlechterung der Qualität des Kreditportefeuilles aufgrund einer Verschärfung der Pandemielage, zweitens eine Überbewertung bei den Vermögenspreisen und drittens die Anfälligkeit der Kreditmärkte aufgrund des historischen Ausmasses der weltweiten Verschuldung. Diese Liste der wirtschaftlichen Stabilitätsrisiken ist kongruent mit Einschätzung anderer Auguren wie beispielsweise dem IWF und überrascht deshalb wenig.

Viel überraschender ist, dass diese rein monetären Makrorisiken weiterhin die einzigen Stabilitätsrisiken für das Finanzsystem sind, mit denen sich die SNB im Bericht befasst. Erneut scheinen die SNB andere zentrale Einflüsse auf die Finanzstabilität wie Cyberrisiken, Energieversorgung oder (auch für die Geldpolitik) disruptive Änderungen bei Marktstrukturen durch die Aktivitäten von Technologiefirmen und anderen Nichtbanken in keiner Weise zu beunruhigen. Diese Konzentration auf die Banken als scheinbar alleinige Quellen systemischer Auswirkungen für das Finanzsystem ist fragwürdig. Es bleibt zu hoffen, dass sich in Zukunft keine Risiken materialisieren, die vom Stabilitätsbericht während Jahren nicht thematisiert wurden.

Begründete Preisentwicklung im Immobilienmarkt

Im von Zurbrügg beschriebenen volatilen Umfeld gibt der Hypothekar- und Wohnliegenschaftsmarkt der SNB wieder einmal Anlass zur Sorge. Mit den besseren wirtschaftlichen Aussichten hätte sich das Risiko einer pandemiebedingten Korrektur der Wohnimmobilienpreise zwar verringert. Das Risiko sieht die SNB nun aber weniger in der Abwärts-, sondern vielmehr in der Aufwärtsbewegung bei den Wohnimmobilienpreisen und beim Hypothekarkreditvolumen. Diese seien stärker gewachsen, als es Fundamentalfaktoren wie Miete und Einkommen erklären könnten.

Vor dem Hintergrund einer weniger tief als befürchteten Rezession erstaunt der Preisanstieg bei Einfamilienhäusern (+5,4%) und bei Wohnungen (+5,1%) nur wenig. Einerseits hat die Coronakrise die Gewissheit erhöht, dass sich die Hypothekarzinsen noch länger auf tiefem Niveau bewegen werden. Andererseits hat der Lockdown den Wunsch nach mehr Wohnraum und Umschwung befeuert und dadurch einen kräftigen Nachfrageschub ausgelöst. Zumindest im Segment der Einfamilienhäuser hat zudem die seit mehreren Jahren abnehmende Bautätigkeit den Preisanstieg unterstützt.

Deutliche Risikoreduktion im Hypothekargeschäft

Auch in diesem Umfeld steigender Preise haben die Banken jedoch eine vorsichtige Kreditvergabepolitik verfolgt. Das Wachstum des Hypothekarvolumens der Banken ist mit 3,2% unter dem Preisanstieg der Immobilien geblieben. Zudem bestätigt die SNB die Bremswirkung der im letzten Jahr für Wohnrenditeliegenschaften vorgenommen Revision der SBVg-Selbstregulierung.

Dass die Banken die Risiken deutlich eingedämmt haben, zeigt auch ein Blick auf die Belehnung. Der Anteil neuer Hypotheken für Wohnrenditeliegenschaften mit einer Belehnung von über 75% (neue SBVg-Mindestanforderung) sind im vergangenen Jahr von 40% auf 21% (bei kommerziellen Kreditnehmern) bzw. von 27% auf 16% (bei privaten Kreditnehmern) gesunken. Auch die Medianwerte gingen teilweise zurück (vgl. Grafik). Dass diese Werte nicht noch stärker zurückgegangen sind, hat damit zu tun, dass «buy to let»-Objekte – aufgrund des oftmals fehlenden Renditecharakters – nicht als Renditeliegenschaft klassifiziert werden müssen. Des Weiteren konnten die Banken auch keine Zunahme spekulativer Immobilientransaktionen, üblicherweise ein guter Indikator für eine Blase, beobachten.

Welche Kreditvergabepolitiken Nicht-Banken ihrerseits in diesem Segment verfolgen und welche Risiken sich daraus ergeben, lässt der Stabilitätsbericht aber offen. Die SNB scheint bezüglich Risikoappetit und Markteinfluss der Nichtbanken unbekümmert zu sein. Vielmehr weist sie erneut auf anhaltend hohe Tragbarkeitsrisiken hin, obwohl diese gerade bei abnehmender durchschnittlicher Belehnung viel weniger ins Gewicht fallen.

Wieso die SNB die Tragbarkeit («loan-to-income») allerdings nur für das letztjährige Neugeschäft heranzieht, um die Stabilität einer Bank und des ganzen Finanzplatzes zu beurteilen, wird nicht klar und ergibt aus einer Systemoptik kaum Sinn. Für die Beurteilung, ob ein Risiko von systemisch relevantem Ausmass vorliegt, müsste das ganze Bestandesgeschäft herangezogen werden. Dieses weist aufgrund der vertraglich vereinbarten Amortisationspflicht der Kreditnehmer und infolge des Anstiegs der Marktpreise viel tiefere effektive Belehnungen auf. Der Puffer für allfällige Korrekturen der aktuellen Marktwerte nimmt dadurch substanziell zu.

Fragwürdige Reaktivierung des antizyklischen Puffers

Trotz der jüngst auf den verschiedenen Ebenen erreichten Risikoreduktion und trotz der von ihr betonten Unsicherheit des Ausmasses der Überbewertung, hebt die SNB mehr als nur den Warnfinger. Sie kündigt an, die Notwendigkeit einer Reaktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers regelmässig zu prüfen. Die blosse Erwähnung der Prüfung ist keine Lappalie. Vielmehr dürfte die SNB die Erwartungen formen wollen. In weiser Voraussicht liess sich die SNB den Rücken gleich durch den IWF stärken, der in seinem zeitgleich erschienenen Länderbericht fordert, dass die letztjährige Deaktivierung des antizyklischen Puffers temporär sein sollte.

Störend ist nicht nur das Fehlen von einigermassen nachvollziehbaren, von Fakten und Wissenschaft untermauerten Schwellenwerten im Finanzstabilitätsbericht für die Auslösung des Puffers. Vielmehr überrascht, dass die in anderen Teilen profunde ökonomische Analyse die Ursachen des Preisanstiegs bei den Immobilien unzureichend abdeckt. Die Rede ist von einem global tiefen Zinsniveau, Covid-Unterstützungsmassnahmen und einer coronabedingten Präferenz für Wohneigentum. Letztere sind aber temporärer Natur und dürften deshalb einen weiteren Preisanstieg in Zukunft nicht unterstützen.

Ursachenbezogene Massnahmen statt Nullrisikokurs

Massnahmen sind in der Regel am wirksamsten, wenn sie bei den Ursachen ansetzen. Möglichkeiten dazu hätte die SNB durchaus. Die Bankiervereinigung hat bereits vor zwei Jahren auf die Wirksamkeit und die Folgen der Negativzinsen in einer Studie hingewiesen. Diese führen vor dem Hintergrund eines Anlagenotstands zu fehlallozierten Ressourcen. Weiter dürfte der mitunter zinsbedingte Börsenboom die finanziellen Möglichkeiten von potenziellen Käufern zusätzlich erweitert haben.

In ihrem Stabilitätsbericht stellt die SNB zudem fest, dass es den Banken zunehmend gelingt, die ihnen belasteten Negativzinsen den Kunden zunehmend weiter zu verrechnen. Dadurch nimmt theoretisch auch die Notwendigkeit der Quersubventionierung der Kontoinhaber durch Hypothekarschuldner ab und erlaubt günstigere Zinskonditionen bei Hypotheken, falls es die Situation der Bank zulässt.

Einmal mehr praktisch ignoriert wird die mögliche Befeuerung der Hauspreise durch die Hypothekenvergabe der Nichtbanken. Eine von Moneypark fast jüngst publizierte Studie kommt zum Schluss, dass das Hypothekargeschäft von Pensionskassen in den letzten fünf Jahren um 75% gewachsen ist. Demgegenüber war die Tatsache, dass das Wachstum der durch Pensionskassen vergebenen Hypotheken im Jahr 2019 18% betrug, der SNB gerade einmal eine Fussnote wert. Zwar wird auch erwähnt, dass der Marktanteil von Nichtbanken am gesamten Hypothekarvolumen mit insgesamt 6% klein ist; aufs Neugeschäft bezogen ist das aber beträchtlich.

Relevant für die Preissetzungsmacht der weniger stark regulierten und deshalb preislich kompetitiveren Nichtbanken und die steigende Wettbewerbsintensität ist jedoch der von der SNB nicht bezifferte Marktanteil am Neugeschäft. Leider bildet der Fokus des Berichts auf die Banken den Marktmechanismus nur unzureichend ab und erlaubt deshalb kaum eine fundierte Diskussion über die Wirksamkeit alternativer makroprudenzieller Massnahmen.

Den Esel meinen, aber den Sack schlagen

Dass die Reaktivierung des antizyklischen Puffers ökonomisch notwendig wäre, lässt sich dem Stabilitätsbericht nicht entnehmen. Es stellt sich daher die Frage, weshalb der Bericht überhaupt als Gefäss für diese Nachricht gewählt wurde.

Wenn die SNB ganzheitlich zu den systemischen Risiken im Hypothekenmarkt informieren will, kommt sie um die Thematisierung des anhaltenden «Dopings» durch die Negativzinsen und die längeren Spiesse der Pensionskassen nicht herum. Die Banken mit dem Puffer für Risiken zu bestrafen, die ihren Ursprung anderswo haben, dürfte jedenfalls kaum zielführend sein.

Wirtschaft

Autoren

Martin Hess
Leiter Wirtschaftspolitik
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