Meinungen
18.11.2022

Die Schweiz liegt hinten – und führt dennoch

Eine neue Studie platziert die Schweiz hinsichtlich Sustainable Finance im internationalen Vergleich abgeschieden hinter der EU. Behörden, Branchenexpertinnen sowie -experten und Anlegerinnen und Anleger verorten die Schweiz hingegen in einer Führungsposition. Eine Auslegeordnung.

Auf den ersten Blick scheint es alarmierend: Anfang Oktober hat eine Untersuchung von ISS ESG globale Regulierungen in Sustainable Finance betrachtet. Die publizierten Resultate zeigen, dass 2022 der Umfang und die Geschwindigkeit von Regulierungen im Thema Sustainable Finance zwar weltweit zugenommen haben; im «Regulation depth and breath Index» ist die EU nach wie vor führend. Allerdings schneidet die Schweiz im Index, der die Anzahl sowie Breite an Regulierungsthemen erfasst, im internationalen Vergleich eher schwach ab.

Der Selbstanspruch der Schweiz

Zu den Fakten: Als Mitgliedstaat der Vereinten Nationen (UN) hat sich die Schweiz 2015 bereit erklärt, die UN Sustainable Development Goals für nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu erreichen. Die Schweiz hat 2017 das Klimaübereinkommen von Paris ratifiziert und sich 2019 zum Ziel gesetzt, bis 2050 unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr auszustossen. Dieses Ziel wurde auch für die Finanzbranche vom Bundesrat 2020 nochmals konkretisiert; so hielt er fest, dass die Position des Schweizer Finanzplatzes als führenden Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen gestärkt werden soll.

Die Schweiz handelt – auch regulatorisch

Dies schlägt sich auch auf regulatorischer Ebene nieder: Dieses Jahr kam die Verordnung zur Klimaberichterstattung von grossen Unternehmen in die Vernehmlassung. Die Verordnung konkretisiert gesetzliche Bestimmungen zur Klimaberichterstattung für grosse Schweizer Unternehmen, worunter auch Banken fallen. Ebenfalls in diesem Jahr hat der Bund die erste grüne Eidgenössische Anleihe ausgegeben und die Swiss Climate Scores lanciert. Letztere stellen Best-Practice-Ansätze der Transparenz von Finanzanlagen dar und bilden deren Verträglichkeit mit internationalen Klimazielen anhand von sechs verschiedenen Indikatoren ab. Dadurch soll eine vergleichbare und aussagekräftige Informationsbasis generiert werden.

Initiativen ausserhalb des Indexes

Wieso wird – trotz all dieser Bestrebungen von höchster Ebene – die Schweiz im Index denn nun auf einem der hinteren Plätze geführt? Einfach formuliert: Weil der schweizerische Ansatz ein anderer ist. So setzt die Politik des Bundesrates grundsätzlich auf marktwirtschaftliche Lösungen und die Subsidiarität staatlichen Handelns. Dadurch wird die grosse Mehrheit der Initiativen, die im Bereich Sustainable Finance getroffen wurden, gar nicht von dem Index erfasst.

Im Konkreten bedeutet dies, dass die Branche die Ziele des Bundesrates mit einer Reihe an eigenen Initiativen unterstützt. Dazu gehören die Selbstregulierungen der SBVg (Schweizerische Bankiervereinigung), welche für die Mitglieder verbindliche Vorgaben mit Nachhaltigkeitsbezug für die Anlageberatung und Vermögensverwaltung sowie die Hypothekarberatung definieren. Auch die Selbstregulierung der Asset Management Association Switzerland (AMAS) zu Transparenz und Offenlegung bei Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug ist Teil dieses Pakets, das der Finanzplatz geschnürt hat.

Auch empfehlen die Dachverbände der Finanzbranche ihren Mitgliedern, den jeweiligen für ihr Geschäftsmodell relevanten Netto-Null Allianzen beizutreten. Als Mitglied einer Netto-Null Allianz bekennen sich die Unterzeichnenden öffentlich, Ziele zur Erreichung von Netto-Null zu formulieren und darüber regelmässig zu berichten. Eine im August publizierte Studie von PwC gemeinsam mit dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV), der AMAS und Swiss Sustainable Finance (SSF) zeigt auf, dass bereits eine gute Abdeckung des Schweizer Finanzplatzes vorhanden ist.

Effizient, schnell, Schweizerisch.

All diese Initiativen finden ausserhalb von staatlichen Regulierungen statt – und werden daher nicht vom ISS ESG Index erfasst. Nichtsdestotrotz liegen die Vorteile des schweizerischen Ansatzes auf der Hand: Da die Initiativen aus der Branche gemeinsam mit Finanzmarktakteuren entwickelt wurden, verfügen sie über eine hohe Praxisnähe. Dadurch ist nicht nur die Akzeptanz in der Branche gewährleistet, sondern im Gegensatz zu Gesetzen auch eine effiziente und zielführende Adaptivität gegeben. Zudem greifen die Initiativen deutlich schneller. Dies lässt sich an den Selbstregulierungen der SBVg gut illustrieren: Die Richtlinien wurden innerhalb rund eines halben Jahres erarbeitet, vom Verwaltungsrat verabschiedet und treten bereits am 1. Januar 2023 in Kraft. Damit erreicht der schweizerische Ansatz genau das, was der Klimanotstand verlangt: Effiziente, schnelle und flexible Veränderungen.

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