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17.12.2021

Legislatur 2019-2023: Halbzeitbilanz aus Sicht einer Interessenvertreterin 

Mit der Wintersession startete die zweite Hälfte der Legislatur 2019-2023. Zeit also für einen Rückblick auf die vergangenen 24 Monate, in denen in Zeiten von Corona vieles schneller und vor allem anders kam als erwartet. Ein Beitrag von Carina Schaller, Leiterin Politische Geschäfte bei der Bankiervereinigung.

Mit der Serie «Polittrends auf der Spur» beleuchtet die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) aktuelle Entwicklungen, die Bundesbern und unsere Demokratie bewegen (vgl. die bisherigen Beiträge über die Zukunft des Campaigning und den Einfluss der Digitalisierung auf die direkte Demokratie). Mit diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, wie sich Corona auf die Interessenvertretung im politischen Bundesbern auswirkt.

Spaziergänge rund um das Bundeshaus

Für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter im politischen Bern ist die Qualität des persönlichen Netzwerks eine wichtige Grösse. Der Austausch mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern in allen möglichen Kommissionen ist für ihre Arbeit zentral, um Informationen und Argumente zu vermitteln. Der Abbruch der zweiten Session der laufenden Legislatur im März 2020 aufgrund der damaligen Corona-Situation war daher nicht nur für die Parlamentsmitglieder eine Zäsur, sondern auch für die Interessenvertretenden, denen der direkte Austausch während den Ratsdebatten hilft, ihre Anliegen im Einzelgespräch darzulegen und zu diskutieren.

Die Ruhe des abgeschotteten Bundeshauses mag einigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu Beginn wohl tendenziell gelegen gekommen sein, für die Ausübung des Berufs einer Interessenvertreterin ist sie aber hinderlich und erfordert Kreativität. So waren die vergangenen zwei Jahre nicht nur geprägt von vergeblich organisierten Anlässen und Treffen, sondern auch von viel mehr Mail-Verkehr als gewollt und der Suche nach Austauschmöglichkeiten ausserhalb des Bundeshauses. Wohl selten zuvor sah Bern so viele Kaffee trinkende Spaziergängerinnen und Spaziergänger in Diskussionen vertieft rund um das Bundeshaus. Die wiedergewonnene Normalität der Herbstsession bescherte dem politischen Bern mehr als volle Agenden, wollte doch der Stau an Anlässen abgearbeitet werden.

Solidarbürgschaftsgesetz im Rekordtempo beraten

Dieser Rückblick soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den vergangenen zwei Jahren auch für den Finanzplatz sehr wichtige Geschäfte erfolgreich behandelt werden konnten. Während das Solidarbürgschaftsgesetz in Rekordgeschwindigkeit geschrieben, beraten und abgeschlossen wurde, exerzierten die Räte an der Revision des Geldwäschereigesetzes so ziemlich alle Möglichkeiten der Beratung durch, die das Parlamentsgesetz zu bieten hat. Ein wahres Auf und Ab der Gefühle löste diese Revision aus. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger und somit konnte sie nach über zwei Jahren endlich abgeschlossen werden. Ein Kompromiss zeichnet sich jedoch im Normalfall dadurch aus, dass niemand so richtig zufrieden ist, und so ist damit zu rechnen, dass das Geldwäschereigesetz schon in Kürze erneut überarbeitet werden muss.

Corona führt zu zahlreichen Vorstössen

Nicht fehlen dürfen in einer Bilanz natürlich die Zahlen und hier bietet sich ein Blick auf die eingereichten Vorstösse an. In der Legislatur 2016-2019 wurden 8712 Vorstösse eingereicht (der Einfachheit halber wurden nur Fragen, Interpellationen, Motionen, Postulate und Parlamentarische Initiativen* gezählt). Nach Halbzeit der aktuellen Legislatur steht die Zahl dieser Vorstösse schon bei 5730. Besonders deutlich zeigt sich der Anstieg der Fragen in der Fragestunde, die jeweils direkt in der laufenden Session beantwortet werden. Lag die durchschnittliche Anzahl Fragen in der vorangegangenen Legislatur pro Jahr bei rund 680, so schnellte die Zahl 2020 auf 1113 hoch und in diesem Jahr wurden über 1254 Fragen eingereicht. Zwar gelten Fragen als die schwächste Möglichkeit der Einflussnahme von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, aber die Corona-Krise nimmt eben auch hier Einfluss. Müssen die Verfasserinnen und Verfasser von anderen Vorstössen bis zu drei Monate auf eine Antwort des Bundesrates warten, so erhalten sie die Antwort auf ihre Fragen noch in der laufenden Session. In einer Zeit, in welcher sich die epidemiologische und damit auch politische Lage im Tagesrhythmus ändert, versuchen auch die nationalen Volksvertreterinnen und Volksvertreter tagesaktuell zu agieren, um ihrer Wählerschaft zeigen zu können, dass sie sich einbringen und um Lösungen bemüht sind.

Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären: Die fünfte Welle macht auch vor dem Bundeshaus nicht halt. Erneut werden Veranstaltungen abgesagt und damit die Informationsvermittlung und der Netzwerkaufbau erschwert. Es wird zu beobachten sein, ob und wann im Ratsbetrieb wieder Normalität einkehrt. Ein Abflachen der Flut an Vorstössen dürfte dabei wohl eher weniger zu erwarten sein, geht es doch in Riesenschritten auf die Wahlen zu. 

*Kurzes Einmaleins der politischen Vorstösse

Grundsätzliches 

Den Mitgliedern des National- und Ständerates stehen verschiedene Möglichkeiten der politischen Einflussnahme offen. Fragen und Interpellationen können direkt eingereicht werden und müssen ohne Zustimmung der Räte beantwortet werden. Postulate, Motionen und Parlamentarische Initiativen unterliegen einem Prozess der Zustimmung auf verschiedenen Ebenen. Alle Vorstösse werden von den Departementen beantwortet, im Normalfall bis zur nächsten Session. Bei Postulaten, Motionen und Parlamentarischen Initiativen gibt der Bundesrat einen Antrag ab, ob er den Vorstoss zur Annahme oder Ablehnung empfiehlt.

Fragestunde: In der Fragestunde beantworten die Departementsvorstehenden aktuelle Fragen der Nationalrätinnen und Nationalräte. Die Fragen müssen bis Mittwoch der Vorwoche eingereicht werden. Ist der/die Fragesteller/in im Rat anwesend, wird die Frage mündlich beantwortet und es besteht die Möglichkeit einer kurzen, sachbezogenen Nachfrage. Die Fragestunde dauert höchstens 90 Minuten und findet nur im Nationalrat statt.  

Interpellation: Eine Interpellation verlangt vom Bundesrat Auskunft über Angelegenheiten des Bundes ohne konkreten Auftrag. Sofern die Interpellation nicht als dringlich erklärt wird, erhält der Bundesrat Zeit zur Beantwortung bis zur nächsten Session. Die Antwort des Bundesrates wird auf der Webseite www.parlament.ch veröffentlicht. Der Urheber oder die Urheberin kann erklären, ob er oder sie von der Antwort des Bundesrates ganz, teilweise oder nicht befriedigt ist. Im Ständerat bietet sich den Interpellanten noch die Möglichkeit einer Diskussion über die Antwort des Bundesrats.

Motion: Eine Motion erteilt dem Bundesrat den Auftrag, eine Massnahme zu treffen oder einen Entwurf zu einem Erlass der Bundesversammlung vorzulegen. Damit dieser Auftrag erteilt wird, müssen beide Räte der Motion zustimmen. Erst dann trifft der Bundesrat die mit der Motion verlangte Massnahme oder unterbreitet der Bundesversammlung einen Erlassentwurf.

Postulat: Einen Schritt weniger weit geht das Postulat, das vom Bundesrat eine Prüfung und Berichterstattung verlangt, ob eine Massnahme getroffen oder ein Erlassentwurf erarbeitet werden soll. Hierfür braucht es nur die Zustimmung des Rates, in welchem das Postulat eingereicht wurde. Erfüllt wird ein Postulat, indem der Bundesrat in einem separaten Bericht, im Geschäftsbericht oder in einer Botschaft zu einem Erlassentwurf dazu Stellung bezieht.

Parlamentarische Initiative: Eine Parlamentarische Initiative kann von einem Ratsmitglied, einer Fraktion oder einer Kommission eingereicht werden. Sie schlägt den Entwurf zu einem Erlass oder die Grundzüge eines Erlasses vor. Die Leitung der Gesetzgebungsarbeiten erfolgt durch eine Kommission des National- oder Ständerates und nicht durch ein Departement. Ob dabei eine öffentliche Konsultation durchgeführt wird oder nicht, obliegt der zuständigen Kommission. Die Parlamentarische Initiative unterliegt einer Vorprüfung und beide Räte müssen ihr Folge leisten, damit sie umgesetzt werden kann.

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