Meinungen
20.01.2022

Stempelsteuer und Mehrwertsteuer: Eine Anekdote über das Gipfeli.

Sie kaufen bei Ihrem Bäcker ein Gipfeli und bezahlen darauf die Mehrwertsteuer. Sie kaufen bei Ihrer Bank eine Aktie und bezahlen darauf keine Mehrwertsteuer. Sie bezahlen aber die Stempelsteuer und die soll am 13. Februar 2022 in Teilen abgeschafft werden. Zwei Produkte, unterschiedliche Besteuerung – so das Narrativ der Gegner. Ist das unfair? Keinesfalls! Ist das unlogisch? Erst recht nicht! Aber warum nicht?
Beitrag vonJan Weissbrodt

Finanzwerte sind Gutscheine, Gipfeli ihr Gegenwert

Eine Aktie ist ein Finanzwert, also das rein geldmässige Spiegelbild eines Realwerts. Sie ist nichts anderes als ein Gutschein auf den Anteil an einem Unternehmen. Das geldmässige Spiegelbild des Gipfeli ist der Kaufpreis und wir nehmen an, Sie bezahlen ihn mit Märkli – also ebenfalls einem Gutschein. Müssten Sie nun auf den Kauf des Gutscheins Mehrwertsteuer bezahlen, wären Sie doppelt belastet, denn die Einlösung des Gutscheins in das Gipfeli unterliegt ja ebenfalls der Mehrwertsteuer. Der Kauf des Gutscheins ist nichts anderes als ein Geldwechsel-Geschäft. Und dies ist auch bei der Aktie und allen anderen Finanzinstrumenten so: Als Gutscheine verkörpern sie schlussendlich Realwerte, die bereits mit Mehrwertsteuer belastet sind. Die Stempelsteuer ist deshalb eine doppelte Belastung desselben Werts.

Finanzwerte sind Investitionen, Gipfeli sind Konsum

Die Mehrwertsteuer soll zudem den Konsum besteuern, also den Verbrauch oder Verzehr von Gütern und Dienstleistungen. Das Gipfeli ist Ergebnis der Wertschöpfung, wird buchstäblich verzehrt und deshalb mit Mehrwertsteuer belastet. Finanzwerte werden aber nicht konsumiert, im Gegenteil: Sie speichern Spar- und Investitionskapital für die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen. Kapital ist eben gerade aufgeschobener Konsum, es ist Quelle der Wertschöpfung. Die Mehrwertsteuer belastet deshalb den Konsumenten, die Stempelsteuer hingegen den Sparer. Das Sparkapital von heute ist aber der Konsum von morgen. Auch deshalb ist die Stempelsteuer zusammen mit der Mehrwertsteuer nichts anderes ist als die doppelte Belastung desselben Werts zu zwei Zeitpunkten.

Finanzwerte sind steuerbefreit, Finanzdienstleistungen nicht

Aus diesen Gründen sind Finanzwerte praktisch überall von Mehrwert- und Stempelsteuern befreit, nur die Schweiz steht abseits. Diese Befreiung hat auch nichts mit den Banken zu tun: Denn sie bezahlen jene Steuern gar nicht selbst, sondern müssen sie allein vom Sparer an den Fiskus weiterleiten. Indessen unterliegen die meisten Finanzdienstleistungen (z.B. Anlageberatung) – anders als Finanzwerte (z.B. Aktien) – regelmässig der normalen Mehrwertsteuer, werden als konsumierbarer Realwert also genauso behandelt wie das Gipfeli.

Die Vermeidung der Doppelbelastung ist politisch gewollt

Daneben sprechen aber auch politische Gründe für eine Steuer-Befreiung von Finanzwerten. Sparkapital zu besteuern belastet beispielsweise auch die Altersvorsorge. Während das Gipfeli sofort verzehrt wird, soll aufgeschobener Konsum (Sparen) aber in der Regel belohnt werden. Das Gipfeli zu backen (Investition) schafft zudem Arbeit und Einkommen, zum Beispiel für den Bäcker oder seinen Verkäufer, das Gipfeli zu essen (Konsum) nicht.

Die Emissionsabgabe hat umso weniger mit der Mehrwertsteuer gemein

Noch weniger mit der Mehrwertsteuer vergleichbar ist die Emissionsabgabe, über die wir am 13. Februar 2022 abstimmen. Sie belastet die erstmalige Schaffung von Eigenkapital, die Umsatzabgabe sodann nochmals auf den Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten – zusammen «Stempelsteuer» genannt. Anders als Mehrwertsteuer und Umsatzabgabe erfordert die Emissionsabgabe nicht einmal einen Kauf bzw. Verkauf. Denn Aktienkapital kann etwa auch durch schlichte Umwandlung von Gewinnen innerhalb des Unternehmens geschaffen werden.

Konsumsteuern sind nachhaltiger als Investitionssteuern

Investitionen sind also der Konsum der Zukunft und Finanzwerte entsprechend die Kaufpreise der Zukunft. Dies zeigt aber nicht nur die Doppelbelastung desselben Werts (Real- / Geldwert) durch Stempel- und Mehrwertsteuer. Sondern auch, was nachhaltiger ist: Will man nicht beide besteuern, gibt man wohl eher ein paar fertige Gipfeli her (Mehrwertsteuer) als den einzigen Backofen (Stempelsteuer). Dies bringt dennoch mehr Wohlstand für alle: Denn der Bäcker kann nun zu gleichen Kosten einen besseren Ofen kaufen, mehr Gipfeli an mehr Konsumenten verkaufen und somit mehr Angestellte beschäftigen. Und so verdient schliesslich auch der Fiskus insgesamt mehr, ist die Abschaffung von Investitionssteuern doch für ihn selbst eine Investition.

Der Vergleich zeigt, dass die Stempelsteuer eine Idee ist, auf die wir beim Gipfeli nie kämen. Dass Gipfeli und Finanzwerten sehr verschiedenartige Dinge sind, nicht einfach nur «Produkte». Dass Finanzwerte vielmehr Gutscheine wie Märkli sind, ihr Kauf nur ein Geldwechsel-Geschäft. Und dass die Stempelsteuer zusammen mit der Mehrwertsteuer deshalb nichts anderes ist als die doppelte Belastung desselben Werts zu zwei Zeitpunkten. Vor allem aber, dass die Emissionsabgabe kein Ersatz für die Mehrwertsteuer sein kann. Geniessen Sie ihr nächstes Gipfeli!

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Autoren

Jan Weissbrodt
Leiter Tax
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