Open Finance: Die Branche schreitet weiter voran
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Richard Hess, Leiter Digitalisierung bei der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg), hat für insight mit Roger Wisler zum Thema Open Finance gesprochen. Er ist Senior Business Project Manager für Open Banking & API Product Management bei der Zürcher Kantonalbank und ehrenamtlich auch Vorsitzender der Arbeitsgruppe Open Banking der SBVg.
Roger, kannst du Open Finance in einem Satz beschreiben?
Open Finance umschreibt im Allgemeinen die Öffnung der Wertschöpfungskette der Finanzbranche, die auf dem standardisierten und gesicherten Austausch von Daten zwischen Finanzinstituten und vertrauenswürdigen Drittanbietern beziehungsweise zwischen verschiedenen Finanzinstituten basiert.
Und wieso ist das wichtig?
Diese Frage ist gerade im Schweizer Kontext sehr relevant. Ursprünglich betrifft die beschriebene Öffnung im Sinne von Open Banking vor allem den Zahlungsverkehr. Beispielsweise, um über Drittdienste den eigenen Kontostand abzurufen sowie Zahlungen vom eigenen Girokonto auszuführen. Das Konzept Open Finance geht darüber hinaus und berücksichtigt auch Dienstleistungen im Hypothekar- oder im Versicherungsbereich. Open Finance ist aber viel mehr als die rein technische Öffnung der eigenen Systemarchitektur. Im Fokus neuer Geschäftsmodelle stehen stets die Kundenbedürfnisse. Die Kunden sollen stärker eingebunden und beispielsweise Mehrwertdienste von Drittanbietern direkt in das eigene Angebot des Finanzinstituts integriert werden. Der Schritt Richtung Open Banking und Open Finance ist daher vor allem ein strategischer Schritt, was ein klares Bekenntnis des Managements erfordert. Die Öffnung braucht auch klare Regeln und Standards, so dass alle miteinander einheitlich und sicher kommunizieren können. Das Schlagwort hier ist API, also Application Programming Interfaces. Die Internet-Technologie kommt damit auch zunehmend in der Finanzwelt zum Zuge.
Was bedeutet das konkret für die Kunden in der Schweiz?
Grundsätzlich bietet die Öffnung den Kunden neue Möglichkeiten, innovative Dienstleistungen zu beziehen. «Open» meint dabei das Zusammenspiel zwischen Finanzinstituten, Drittanbietern und Kunden. Im Gegensatz zur klassischen Kundenbeziehung von heute bezieht der Kunde im Open-Finance-Ansatz Finanzdienstleistungen nicht mehr nur aus einer Hand, sondern von unterschiedlichen Erbringern. Diese Erbringer können neben Banken beispielsweise auch FinTechs oder WealthTechs sein oder auch Dienstleister aus einer anderen Branche. Auch die sogenannten Neo-Banken könnte man dazuzählen. Das ist aber nicht das Entscheidende. Der Kunde wird sich nicht fragen, ob sich Open Banking bzw. Open Finance etablieren wird. Der Kunde möchte primär integrierte und sichere Finanzdienstleistungen, da, wo er sie gerade braucht. Die Frage wird künftig also sein: welche Finanzdienstleistungen in welcher Form und über welchen Anbieter? Auch wenn ich die Marktforschungen verfolge, wird Open Finance eher eine Mittelstation sein, während uns an der Bergstation viel mehr Ökosysteme erwarten. Das bedeutet, Finanzinstitute müssen zukünftig einen 360-Grad Blickwinkel auf ihre Kunden einnehmen können. Nur so können sie ihren Kunden in jeder Lebenssituation die passenden Produkte und Services anbieten.
Das sind alles sehr aufregende Gedanken. Aber wieviel davon ist heute schon Realität? Welche Rolle spielt Open Finance beispielsweise in deinem beruflichen Alltag?
Das Thema ist sozusagen ein Teil von meinem «Daily Business». Ich befasse mich bei der Zürcher Kantonalbank mit der ganzen Governance und möglichen Handlungsfeldern rund um die technischen Schnittstellen für die Kerngeschäfte. Auch unterstütze ich bestmöglich die laufenden Projekte mit dem Fachwissen aus den Communities.
Gibt es auch Risiken bei Open Finance, insbesondere hinsichtlich des Datenschutzes?
Auf jeden Fall. Aber das ist nicht erst mit der Öffnung so. Überall, wo Daten verteilt werden, gibt es gleichzeitig auch Risiken in Bezug auf den Datenschutz. Die Frage ist vielmehr: Ist das allen bewusst und wie geht man mit diesen Risiken um? Es ist doch so: Primär vertrauen die Kunden ihrer Bank, dass diese mit ihren Daten nach dem Prinzip von Treu- und Glauben richtig umgeht. Die gleichen Erwartungen hat der Kunde an einen Drittanbieter. Es braucht also ein klares Risiko-Bewusstsein, insbesondere auch der Kunden, dass die Bankdaten an weitere Dienstleister ausserhalb der Bankengrenzen weitergegeben werden. Die Bank wird den Drittanbieter natürlich nach bestem Wissen prüfen. Schlussendlich entscheidet aber immer der Kunde, ob seine Daten mit einem Dritten ausgetauscht werden sollen oder nicht – diese Willensäusserung wird im Fachjargon auch als "Consent" bezeichnet.
Kannst du einschätzen, wie die Strategie und Vorgehensweise der Banken hierzulande aussieht?
Aus Erfahrung mit meinem letzten Arbeitgeber kann ich sagen, dass sich die Banken intensiv Zeit nehmen, sich mit einer kontrollierten Öffnung der Kundendaten zu befassen. Es wird also von Fall zu Fall entschieden, welche Use Cases sie für ihr Kerngeschäft in Betracht ziehen.
Wo siehst du aktuell die grössten Herausforderungen, um Open Finance in der Schweiz weiter umsetzen zu können?
Da wir in der Schweiz einen markgetriebenen und keinen regulatorischen Ansatz fahren, müssen die Finanzinstitute sich selbst fragen, ob und wie sie von Open Finance profitieren können. Das bedingt, dass Open Finance als strategischer Ankerpunkt vom Management festgelegt und Top-Down auch gelebt werden muss. Die Bankiervereinigung hat hierzu sehr gute Unterlagen zu den einzelnen Strategien ausgearbeitet, die jede Bank als Hilfestellung heranziehen kann [vgl. Auslegeordnung Open Banking].
Welche Rolle nimmt die Bankiervereinigung bei diesem Thema ein?
Die Bankiervereinigung hat erkannt, dass die Branche eine Empfehlung zur Strategie, aber auch Wissensvermittlung benötigt. Die Rolle ist daher mehr die eines Enablers und Koordinators. Es gilt, möglichst günstige Voraussetzungen zu schaffen, damit Banken untereinander und mit Drittanbietern im Markt möglichst einfach und sicher zusammenarbeiten können. Aus diesem Grund unterstützt die Bankiervereinigung die Klärung von allfälligen offenen rechtlichen oder sicherheitstechnischen Fragen, welche die sichere Zusammenarbeit innerhalb der Branche und mit Drittanbietern erleichtern.
Welche konkreten Fragestellungen stehen denn aktuell auf dem Tisch?
Unsere Arbeitsgruppe Open Banking arbeitet an relevanten Themen, welche das Ökosystem zwischen der FinTech- und der Banken-Welt unterstützen soll. Mit dem kürzlich veröffentlichten Schaubild zu den Open-Finance-Grundlagen und den API-Initiativen konnte die Rollenverteilung unter den nationalen und die Verbindung zu den internationalen Anspruchsgruppen beispielsweise transparent dargelegt werden [vgl. Rollenverteilung]. Neben dem Rollenverständnis stehen technische und auch rechtliche Fragestellungen auf dem Tisch. Bei den technischen Aspekten geht es neben der reinen Standardisierung der API auch um Sicherheitskonzepte. Diese Grundlagen müssen mit den Marktteilnehmern gut abgestimmt sein. Wir arbeiten daher eng zusammen mit den weiteren Akteuren im Ökosystem. Bei den rechtlichen Fragen geht es schliesslich darum, Rechtssicherheit zu schaffen und das Vertrauen in alle Akteure sicherzustellen.
Was möchtet ihr bis Ende Jahr erreichen?
Das oberste Ziel muss sein, dass wir Open Finance in der Schweiz einen Schritt weitergebracht haben und neue Use Cases entstehen.
Zum Schluss: Wenn du einen Wunsch frei hättest, um Open Finance in der Schweiz voranzubringen und der morgen erfüllt sein könnte, welcher wäre das?
(lacht) Dann wäre dies wohl, dass primär die Banken die Bedeutung von Open Finance erkannt haben und mit der Umsetzung begonnen haben.
Roger, herzlichen Dank für das Gespräch!